Sep
22
2002

Viva boykottiert Slipknot-Videos

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Branchenkenner hatten es vorausgesehen: Nur wenige Tage nach dem unfassbaren Amoklauf von Erfurt ist die mediale Ausschlachtung der schrecklichen Ereignisse und die Suche nach den einfachen Erklärungen in vollem Gange. Medien bezichtigen sich gegenseitig der Gewaltverherrlichung und während in ersten Diskussionsrunden noch erstaunlich differenziert Ursachenforschung betrieben wurde, begann der Boulevard nur kurze Zeit später in den üblichen Argumentationsketten Computerspiele, Videofilme und natürlich Musikstücke als zumindest mitursächlich für die Taten zu erklären. Sogar der simplen Schwarz-Weiß-Malerei bislang eher unverdächtige Organe wie die altehrwürdige FAZ stimmten in die Denunziationen ein. Und am Donnerstag schloss sich dann auch der sonst so viel auf seine Jugend- und Popkulturkompetenz gebende Musikfernsehsender Viva an und verbannte die Videos der US-Metalband Slipknot aus seinen Programmen. Zuvor war berichtet worden, der Amokläufer von Erfurt sei ein Fan der Band gewesen. „Aufgrund der Ereignisse in Erfurt und der damit verbundenen brisanten Diskussion, haben wir in Rücksprache mit der Plattenfirma von Slipknot das aktuelle Video bis auf Weiteres von der Playlist genommen“, ließ Viva Plus-Programmmanagerin Kirsten Thun verlauten. Den Verantwortlichen in der Kölner Zentrale des Senders ist die Schlichtheit dieser Entscheidung offenbar selbst peinlich: Zu weiteren Statements zeigte man sich nicht bereit. Nach Recherchen von Netzeitung.de sollen aber auch Videos anderer Bands wie Rammstein vom vorübergehenden Boykott betroffen sein. Die Fans von Slipknot sehen sich nun allesamt als potentielle Gewalttäter stigmatisiert und protestieren in den Internet-Foren von Viva Plus und Slipknot.de heftig gegen die Entscheidung. Dort findet man neben Beschimpfungen auch erstaunlich viele Äußerungen, deren Differenziertheit der allgemeinen Diskussion über Gewalt in der Gesellschaft sehr gut tun würden. Am Freitag abend meldete sich erstmals die Band selbst zu den Anschuldigungen zu Wort. In einem von ihrer Plattenfirma verbreiteten Statement äußern Slipknot ihr „tiefstes Mitgefühl gegenüber den Opfern und ihren Familien, die diesen sinnlosen Akt der Gewalt erlitten haben.“ Zugleich wehrt sich die Band dagegen, in irgend einer Form für die Ereignisse verantwortlich gemacht zu werden: „Es ist aberwitzig, unserer Band oder irgendeiner anderen Form von Musik die Schuld zu geben.“ Zudem treten Slipknot Gerüchten entgegen, die behaupteten, in einem Song namens „School Wars“ fordere die Band zu Schulmassakern regelrecht auf: „Wir haben nie einen Song mit dem Titel „School Wars“ geschrieben und wir würden sicherlich niemals jemanden ermuntern, andere zu töten. Wir sind ein Mantel der Hoffnung für unsere Kids, keine Sündenböcke für Attacken wie diese. Und auch wenn wir den Betroffenen unser aufrichtigstes Beileid aussprechen, übernehmen wir dafür nicht die Verantwortung.“