Sep
22
2002

Warum der Terror nur ein Symptom ist

Warum der Terror nur ein Symptom ist

In den letzten Jahren haben Rammstein jeglichen politischen Kommentar verweigert. Haben es abgelehnt, den Verdacht, sie seien rechts, zu entkräften, dem sie sich mit einem missverständlichen Leni Riefenstahl-Video selbst ausgesetzt hatten. Doch nun betreten die teutonischen Metaller, die so gerne das ‚R‘ rollen, wieder die politische Bühne: Auf ihrer Homepage veröffentlichen sie einen sehr lesenswerten Text der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy mit dem Titel „Wut ist der Schlüssel – Ein Kontinent brennt. Warum der Terrorismus nur ein Symptom ist“. In ihrem Newsletter erklären die Rammsteiner dazu, dass sie Information zur Zeit für eines der wichtigsten Güter halten, weil die Welt nicht einfach sei und es kein einfaches Gut und Böse gebe. Arundhati Roy war in Deutschland zuletzt dank Uli Wickert, dem Moderator der Tagesthemen, in die Schlagzeilen geraten. Wickert hatte in einem Zeitschriften-Artikel eine These von Roy aufgegriffen. Demnach soll Osama bin Laden „das amerikanische Familiengeheimnis“, der „dunkle Doppelgänger“ des amerikanischen Präsidenten sein. Wickert hatte die These gestützt, in dem er behauptete, Bush und Bin Laden hätten die gleichen Denkstrukturen, woraufhin mehrere Politiker seinen Kopf forderten. Im folgenden einige Auszüge aus Arundhati Roys Text, der zuerst von der FAZ veröffentlicht wurde: Nach den skrupellosen Selbstmordanschlägen auf das Pentagon und das World Trade Center erklärte ein amerikanischer Nachrichtensprecher: „Selten zeigen sich Gut und Böse so deutlich wie am letzten Dienstag. Leute, die wir nicht kennen, haben Leute, die wir kennen, hingemetzelt. Und sie haben es voller Verachtung und Schadenfreude getan.“ Dann brach der Mann in Tränen aus. Hier haben wir das Problem: Amerika führt einen Krieg gegen Leute, die es nicht kennt (weil sie nicht oft im Fernsehen zu sehen sind). (…) Wenn es den Feind nicht findet, wird es, der aufgebrachten Bevölkerung daheim zuliebe, einen Feind konstruieren müssen. Kriege entwickeln ihre eigene Dynamik, Logik und Begründung, und wir werden auch diesmal aus dem Blick verlieren, warum er überhaupt geführt wird. Wir erleben hier, wie das mächtigste Land der Welt in seiner Wut reflexartig nach einem alten Instinkt greift, um einen neuartigen Krieg zu führen. Nun, da Amerika sich selbst verteidigen muß, sehen die schnittigen Kriegsschiffe, die Cruise Missiles und F-16-Kampfjets auf einmal ziemlich alt und schwerfällig aus. Amerikas nukleares Arsenal taugt nicht zur Abschreckung. Teppichklingen, Taschenmesser und kalte Wut sind die Waffen, mit denen die Kriege des neuen Jahrhunderts geführt werden. Wut ist der Schlüssel. Ihn bekommt man unbemerkt durch den Zoll, durch jede Gepäckkontrolle. Gegen wen kämpft Amerika? In seiner Rede vor dem Kongreß bezeichnete Präsident Bush die Feinde Amerikas als „Feinde der Freiheit“. „Die Bürger Amerikas fragen, warum sie uns hassen“, sagte er. „Sie hassen unsere Freiheiten – unsere Religionsfreiheit, unsere Redefreiheit, unsere Freiheit zu wählen, uns zu versammeln und nicht immer einer Meinung zu sein.“ Zweierlei wird uns abverlangt. Zum einen sollen wir glauben, daß der Feind der ist, der von dieser Regierung als Feind deklariert wird, obwohl sie keine konkreten Beweise vorlegen kann. Und zum anderen sollen wir glauben, daß die Motive des Feindes genau so aussehen, wie sie von der Regierung dargestellt werden, obwohl es auch dafür keine Beweise gibt. Aus strategischen, militärischen und ökonomischen Gründen muß die amerikanische Öffentlichkeit unbedingt davon überzeugt werden, daß Freiheit und Demokratie und der American way of life bedroht sind. In der gegenwärtigen Atmosphäre von Trauer, Empörung und Wut ist derlei leicht zu vermitteln. Wenn das tatsächlich stimmt, stellt sich jedoch die Frage, warum die Anschläge den Symbolen der wirtschaftlichen und militärischen Macht Amerikas galten. Warum nicht der Freiheitsstatue? Könnte es sein, daß die finstere Wut, die zu den Anschlägen führte, nichts mit Freiheit und Demokratie zu tun hat, sondern damit, daß amerikanische Regierungen genau das Gegenteil unterstützt haben – militärischen und wirtschaftlichen Terrorismus, Konterrevolution, Militärdiktaturen, religiöse Bigotterie und unvorstellbaren Genozid (außerhalb Amerikas)? (…)