Mar
2
2007

Chefstyler unterliegt Gothic-Kollabo

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Mit dem knappen Oomph!-Sieg beim gestrigen Bundesvision Song Contest ist es nun soweit: Überraschte bereits letztes Jahr die nur mit Außenseiterchancen bedachte Truppe In Extremo, geht die dritte Raab-Trophäe im Jahr 2007 nach Pop (Juli) und Dancehall (Seeed) nun in den Besitz einer dem Gothic Rock-Genre zuzuordnenden Combo über. Die in typischer Oomph!-Manier bratzenden Stakkato-Gitarren gepaart mit Die Happy-Sängerin Marta Jandovas melodramatischem Krakeelvortrag sicherten den Niedersachsen mit 147 Punkten den Sieg, der im mit 2.500 Menschen gefüllten Berliner Tempodrom allerdings nicht auf einhellige Zustimmung stieß. Viel lieber hätten die meisten den vorab hoch gehandelten und ebenso stürmisch abgefeierten Hamburger Jan Delay („Feuer“) siegen sehen (138 Punkte), dessen Auftritt seinem Ruf als Liverocker auch in nichts nachstand. Etwas abgeschlagen auf Rang drei landete der ehemalige Echt-Sänger Kim Frank (101 Punkte), gefolgt von den ebenfalls mit reichlich Vorschusslorbeeren bedachten Berlinern Mia (96 Punkte). Trotz vorhandenem Unterhaltungswert belegte das Ergebnis auch im dritten Anlauf, dass den mit der größten Medien- bzw. Chartspräsenz gesegneten Bands kein Newcomer das Wasser reichen kann. Der Oomph!-Triumph überraschte schließlich auch nur jene TV-Zuschauer, die noch nicht mitbekommen haben, dass die Wolfsburger seit Jahren zu anerkannten Popstars gereift sind, für die sogar Nummer Eins-Platzierungen keine Eintagsfliege mehr bedeuten. Auch Sänger Kim Frank, der nach dreijähriger Pause mit der schönen, opulent arrangierten Ballade „Lara“ für Schleswig-Holstein sein Comeback einläutete, ist nicht nur aufgrund seiner Vergangenheit bei der Teenie-Sensation Echt ein gern gespielter Gast in Deutschlands Formatradios. In Abendgarderobe gekleidet und die antrainierten Pathos-Gesten munter ausspielend, probierte sich Frank dabei nicht mal ungeschickt in der Rolle eines Morrissey-Doubles. Etwas aufwändiger ging es bei Mia zu, deren Sängerin Mieze passend zum Songbeitrag „Zirkus“ artistisch gekonnt von einem Trapez auf die zur Manege umfunktionierte Bühne herabglitt. Erwartungsgemäß konnte die neue Anajo-Single „Wenn Du Nur Wüsstest“ (33 Punkte) für das Bundesland Bayern leider wenig reißen. Die für das tolle neue Album der Augsburger eher wenig repräsentative Schlagerballade, in deren Refrain Klee-Sängerin Suzie Kerstgens mitwirkt, war schlicht und ergreifend zu harmlos für einen Spitzenplatz. Auch die nicht weniger talentierten Freiburger Musiker von Tele (23 Punkte) hatten mit ihrem ausgeklügelten Funkpopsong „Mario“ beim großen Publikum keine Chance. An ihnen vorbei zog stattdessen der schwachbrüstige Beitrag D-Flames („Mom Song“, 67 Punkte), das überschaubar spannende Duett der Thüringer Elektro-Rocker Northern Lite mit Gastsängerin Chapeau Claque („Enemy“, 88 Punkte) sowie der nordrhein-westfälische Jack Johnson-Verschnitt Pohlmann („Mädchen Und Rabauken“, 95 Punkte). Aus der Kategorie „Zu peinlich für einen öffentlichen Auftritt“ sorgten, wie von Kollege Cordas in seinem Vorabcheck unter Schmerzen prognostiziert, Melotron mit „Das Herz“ aus Mecklenburg-Vorpommern. Erstmals fragte man sich hier anhand der nicht enden wollenden Billigbeats samt eindimensionaler Pennäler-Lyrics, ob die Veranstaltung dem gewohnt schlimmen Grand Prix-Vorentscheid nicht doch bedenklich nahe kommt. Da dort demnächst aber Heinz Rudolf Kunze startet, wechselte man schnell über zu Durchhalteparolen. 13 Punkte holten die Synthie-Jecken zu allem Überfluss auch noch. Skurriler, wenn auch nur bedingt zum Aushalten geriet der Auftritt von Kalle für Rheinland-Pfalz, von dessen Auftritt in erster Linie Trompeter Thomas D. in Erinnerung bleiben wird, der sich dem behäbigen Kiffersong seines Kommunenkumpels durch Überstreifen eines Kapuzenpullis aus alten „Die Da“-Zeiten scheinbar auf seine Art zu distanzieren versuchte. Nicht zu Unrecht: Die Nummer „Aber Nice“ landete auf dem letzten Platz (10 Punkte). Auch Bremens Jule Neigel aka Lea Finn (20 Punkte) bot Zeit, sich um den heimischen Getränkenachschub zu kümmern, während Jenna+Ron aus Sachsen-Anhalt sogar so „Jung Und Willig“ waren, dass sie gleich ganze Riffs bei Franz Ferdinand abkupferten (56 Punkte). Nach den Wettbewerbsbeiträgen brachte die Party-Gang von Seeed mit einer türkischen Aufarbeitung des Vorjahresssiegtitels „Ding“ die Halle nochmal nah an den Siedepunkt, der angesichts der zähen Abstimmungsmodalitäten im Anschluss auch bitter nötig war. Die ausufernden Erklärungen, wie der (betrunkene?) Fernsehzuschauer denn nun wettbewerbsgemäß per SMS bzw. Festnetz abstimmen muss, schienen kein Ende mehr nehmen zu wollen. Von dem bei Raab-Livesendungen gewohnten Werbepausen-Overkill ganz zu schweigen. Erneut stand dem „TV Total“-Moderator mit Johanna Klum wieder eine junge Co-Moderatorin zur Seite, deren Job-Qualifikation eher auf das gemeinsame Alter mit der erhofften Sendungszielgruppe, als auf fachliches Können zurück zu führen ist. Im Vergleich zu Janin Reinhardt trotzdem eine Bereicherung. Und schließlich schien selbst dem geübten Gastgeber gelegentlich die Anspannung ins Gesicht geschrieben, die ob seiner verdienten Arbeit um deutsche Nachwuchsbands und dem vorherzusehenden Erfolg der dritten Bundesvision-Ausgabe eigentlich gar nicht angebracht war. Oder waren Raab die zugeschalteten, auf KiTa-Niveau dauerkalauernden Radio-Moderatoren irgendwann selbst peinlich? Dies wäre mal eine verdammt gute Entschuldigung.