Er veränderte das Nachtleben, die Kultur und die Musik Manchesters und die des gesamten Vereinigten Königreichs, so das einhellige Echo britischer Medien auf den Tod des musikverrückten Medien-Impressarios Anthony „Tony“ Wilson. Zuletzt leitete er wöchentliche Radioshows auf Xfm Manchester und BBC Radio. Der 1950 in Salford/Manchester geborene Wilson starb am 10. August in einem Krankenhaus in Manchester mit nur 57 Jahren an einem Herzinfarkt in Folge einer Behandlung, die sein Nierenkrebs-Leiden erforderte. Nach der Diagnose im Februar und der Weigerung der staatlichen Gesundheitsbehörde, die Kosten zu übernehmen, sammelten Wilsons Freunde, darunter Happy Mondays-Mitglieder, Spenden für die rund 5.000 Euro teure Behandlung. Zu Tony „Mr. Manchester“ Wilsons herausragenden Lebensleistungen zählt die Gründung des Post Punk-Labels Factory Records im Jahr 1978, auf dem Bands wie Joy Division, The Durutti Column, New Order und die Happy Mondays reüssierten. In den 80er Jahren eröffnete er gemeinsam mit New Order den Hacienda Club, eine Brutstätte für experimentelle Dance-Musik, aus der die Acid House-Bewegung und der „Madchester“-Hype erwuchs. Madonna feierte dort einen ihrer ersten Auftritte in England. Die Hingabe und Liebe, die er seinen Bands angedeihen ließ, manifestierte sich in der Anekdote, der Emotionsmensch Wilson würde Verträge mit seinem eigenen Blut unterzeichnen. Die völlige künstlerische Freiheit seiner Bands verteidigte Wilson gerne auch unter Vernachlässigung der wirtschaftlichen Rentabilität. Legendär ist die Geschichte zur 1983 veröffentlichten Maxisingle „Blue Monday“ von New Order: Zwar entwickelte sie sich schnell zur meistverkauften Maxisingle in der englischen Geschichte, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schrieb Factory aber aufgrund des aufwändigen Covers im Floppy Disk-Design mit jeder verkauften Platte rote Zahlen. Anfang der 90er Jahre mussten sowohl Factory Records als auch die Hacienda Konkurs anmelden. Die Veränderungen des Musikgeschäfts begleitete Wilson stets mit großem Interesse. Bereits Ende der 90er Jahre sagte er die Revolution des MP3-Formats voraus und gründete mit „Music33“ eine Plattform, auf der örtliche Bands ihre Musik für 33 Pennys pro Song veräußern konnten. Den ideellen Grundstein für viele heute legendäre Bandgründungen aus der Manchester-Szene legte der TV-Moderator Wilson bereits 1976 mit der Verpflichtung der Sex Pistols für seine Sendung „So It Goes“, dem ersten Auftritt der Punkrüpel im britischen Fernsehen. Wilsons nachhaltiger Einfluss auf die Musikgeschichte wurde vor fünf Jahren in Michael Winterbottoms brilliantem Film „24 Hour Party People“ festgehalten, der den Aufstieg und Fall des Factory-Labels dokumentiert. Vaughan Allen, Direktor des Urbis Centres Manchester, das derzeit die kulturellen Impulse der Hacienda-Clubszene museal aufarbeitet, lobt Wilsons Schaffen gegenüber der BBC mit den Worten: „Die Hacienda tat vor 25 Jahren das, wofür heute MySpace steht: Sie brachte kreative Menschen zusammen, die Neues schaffen wollten.“ Im Oktober 2007 soll der Joy Division-Film „Control“ hierzulande in die Kinos kommen, den Tony Wilson mit Ian Curtis‘ Witwe Deborah koproduzierte. Die Leistung des unbekannten Curtis-Darstellers Sam Riley verzückte in Cannes sowohl Festivalbesucher als auch die Jury, die dem Film gleich mehrere Preise verlieh.
Aug
13
2007