Jul
12
2008

„Let’s Impeach The President!“

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Das Schönste an Neil Young ist und bleibt: Er überrascht seine Zuhörer auch nach vierzig Jahren immer wieder mal. Lullte er sie 2005 mit dem schon fast reaktionären „Prairie Wind“ ein, rüttelte er sie ein Jahr später mit dem verzerrten „Living With War“ wieder auf. Jonathan Demmes Film „Heart Of Gold“, aufgenommen in Nashville, schien 2007 der versöhnliche Abschied eines Künstlers, der alles gesagt hat. Unter dem Pseudonym Bernard Shakey präsentiert Young nun eine kritische Dokumentation, die heute bundesweit in die Kinos kommt. Zwar porträtiert „Déj? Vu“ die US-Tour 2006 von Young mit seinen zeitweiligen Weggefährten David Crosby, Stephen Stills und Graham Nash, doch sind es weniger Musik und Erzeuger, die im Mittelpunkt stehen. Die Aufmerksamkeit liegt hauptsächlich bei den Reaktionen der Menschen auf Thesen, die so formuliert sind, dass sie polarisieren. Let’s Impeach The President! Bei „Let’s Impeach The President“ befremden CSNY in Atlanta einen beachtlichen Teil ihres Publikums so stark, dass es den Hörsaal verlässt. „You can suck my dick, fucking bitch. I want to knock his teeth out“, echauffiert sich ein stämmiger älterer Herr. „Neil Young can stick it up his fucking ass“, empört sich eine blondierte Dame. Message received, sozusagen. Dennoch verfolgt das Quartett kein explizit parteiisches Ziel. Young ist bekanntlich Kanadier und darf in den USA nicht wählen, genauso wie Graham Nash, der aus England stammt. Dass Stephen Stills Kandidaten für die Kongresswahl 2006 unterstützt, kommt eher beiläufig zur Sprache. Es geht den Beteiligten eher darum, die Zuschauer wachzurütteln und die Umstände zu hinterfragen, die zu einer verzwickten wie trostlosen Situation geführt haben. Zwar mutet das Symbol der Tour, ein zur Seite geneigtes Peace-Zeichen, nostalgisch an, doch die Absicht CSNYs liegt diesmal nicht darin, die Massen zu politisieren und auf die Straße zu treiben wie zu Beginn der 70er Jahre während des Vietnam-Kriegs. Die Lage ist heutzutage ganz anders, analysiert Young treffend. Damals handelte es sich um eine Armee aus Einberufenen. Heute bestehen die Truppen ausschließlich aus Berufssoldaten. Das sind natürlich ganz andere Umstände, was sich auch darin widerspiegelt, dass im Film kaum kritische Töne über Kampfhandlungen oder Kriegsgräuel zu vernehmen sind. Kriegsveteranen vor der Kamera Schuld an der Misere ist die Politik, nicht das Militär. So bringt Young auch einige Kriegsveteranen vor die Kamera, die seine Botschaft unterstützen. Respekt vor den Jungs und Mädels, die ihr Leben aufs Spiel setzen, sagen auch CSNY, aber die Politik hat versagt und muss zur Verantwortung gezogen werden. Dass sowohl hoch dekorierte Offiziere als ein Deserteur zu Wort kommen, gehört zum Konzept wie auch die offizielle Webseite neilyoung.com, die zum Nachrichtensender LWW („Living With War“) mutiert ist, sich optisch an CNN anlehnt und eine Plattform für kritische Berichte bietet. Aussagen der Bandmitglieder, Nachrichtenausschnitte, Interviews mit Kriegsgegnern wie Befürwortern, Auszüge von der Tour 2006 sowie aus den 70er Jahren machen aus „Déj? Vu“ einen eher dokumentarisch als musikalisch wertvollen Film. Musik werde die Welt eh nicht verändern. „Das werden die Naturwissenschaften und das Spirituelle tun“, erklärt Young in einem Fernsehinterview anlässlich der Veröffentlichung. Dass der Streifen herauskommt, während im US-Präsidentschaftswahlkampf die kritische Phase beginnt, sei aber kein Zufall, fügt er verschmitzt hinzu. Natürlich hoffe er, dass Obama gewinnt. „Sometimes I wish it was the Dixie Chicks“ Trotz des Ernstes des Themas bleibt Zeit für den einen oder anderen Gag. „It’s not the Dixie Chicks, but sometimes I wish it was the Dixie Chicks“, pariert Young geschickt die Provokation des satirischen Talkshowmasters Stephen Colbert. Und führt ihn ins Verderben, als sie am Ende seiner Sendung gemeinsam „Let’s Impeach The President“ anstimmen. Die Jahre sind nicht spurlos an CSNY vorbeigezogen, vor allem nicht an David Crosby und Stephen Stills, die beide stimmlich wie motorisch Schwierigkeiten offenbaren. Dennoch hat die Washington Post absolut recht, wenn sie schreibt: „Diese Band rockt mit über 60 immer noch“.