Nov
11
2009

Mit Fleischgewehren auf Spatzen

Mit Fleischgewehren auf Spatzen

„Zu groß, zu klein / Der Schlagbaum sollte oben sein / Schönes Fräulein, Lust auf mehr / Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr / Schnaps im Kopf, du holde Braut / Steck Bratwurst in dein Sauerkraut“, heißt es in „Pussy“, der Vorab-Single des höchsten Neueinsteigers in den Tonträgerindex der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). Die Band hat nach eigenem Bekunden Tränen gelacht, als Sänger Till Lindemann die albernen Verslein erstmals in vollendetem Rrrrammstein-Pathos zum Vortrag brachte. Klischee-Parade mit Fleischgewehr Dieses Lied bildet also die Einleitung in das künstlerische Gesamtkonzept des aktuellen, „Liebe Ist Für Alle Da“ betitelten Albums der Gruppe Rammstein. „Darüber kann sich keiner mehr aufregen“, glaubte Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz noch vor kurzem im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. „Das ist nur noch eine Klischee-Parade: „Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr“, „Steck Bratwurst in dein Sauerkraut“ – das müsste jeder halbwegs intelligente Mensch als Ironie verstehen.“ In der Tat – mag man vom künstlerischen Wert der Werke Rammsteins auch dieses oder jenes meinen – es handelt sich ganz unzweifelhaft um Parodien im klassisch griechischen Sinn, auch bei Liedern und Textpassagen wie jenen, die nun von der BPjM als jugendgefährdend eingestuft wurden (und die hier darum nicht mehr zitiert werden dürfen, der geneigten Leserschaft aber natürlich an allen Ecken und Enden des Internets mehr denn je zur Einsicht vorliegen). Ausschlaggebend für die Indizierung sei der Titel „Ich Tu Dir Weh“ gewesen, lässt die BPjM wissen: „In dem Lied wird nach Auffassung des Gremiums in befürwortender Art und Weise dargestellt, wie ein Mensch einen anderen quält und ihm ohne jegliches Mitgefühl schwerste Verletzungen zufügt. Es werden zudem sado-masochistische Handlungen in befürwortender Weise beschrieben.“ Achtung! Blitzkrieg! Sauerkraut! Doch so wenig wie ein Siebzehnjähriger die Bratwurst-Sauerkraut-Metapher ernst nehmen und in seinen Tischmanieren verrohen wird, so wenig sind die nun inkriminierten Zeilen geeignet, die Entwicklung von Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten entscheidend zu gefährden. Dass die BPjM sie dennoch zur Konstruktion eines Indizierungsgrundes heranziehen muss, macht misstrauisch, ob hier nicht eher einem ganz allgemeinen Unwohlsein über die zunehmende Rohheit in deutschsprachiger Popmusik (und überhaupt den ganzen Schund und Schmutz) musterexemplarisch Luft verschafft werden sollte. Und alle so: yeah! Hardcoreporno-Provokationen Rammstein hatten ja herzlich dazu eingeladen, Hardcorepornovideo inklusive. Man kann also durchaus meinen, hier zu „sehr einfallsloser härterer Rockmusik Text zu hören, der ziemlich verunglückt, aber unüberhörbar mit komödiantischer Absicht herumprovoziert“ (Süddeutsche Zeitung). Man darf die Platte eklig finden oder genial oder egal oder – wie der laut.de-Rezensent – halt so mittel. Nur: Grundlage staatlichen Handelns bei der Abwägung der Rechtsgüter Kunstfreiheit und Jugendschutz können derlei Geschmacksfragen keinesfalls sein. Das ominöse „12er-Gremium“, über dessen genaue Besetzung man bei der BPjM keine Auskunft erteilen mag, dürfte Schwierigkeiten haben, mit solch dünnen Argumenten ein Gericht zu überzeugen. Der Band steht der Klageweg offen. Mal sehen, ob die juristisch sonst so aktive Rammstein-Posse ihn beschreitet.