Nov
23
2009

Als das Musik-TV laufen lernte

Als das Musik-TV laufen lernte

Der musikinteressierten Jugend von heute ist der Name Peter Rüchel kein Begriff mehr. Allein seine Idole scheinen dem rockmusikalischen Paläozän zu entstammen: Little Steven, J. Geils Band, Mother’s Finest, Rory Gallagher. Doch Rüchel schrieb TV-Geschichte: Ab 1977 realisierte der WDR-Redakteur den lange gehegten Wunsch, Konzerte ungekürzt und live als Fernsehübertragung zu senden. Die Idee trug ihn von den ersten Rocknächten in der Essener Grugahalle über die Open Air-Festivals auf der Loreley bis hin zu den TV-Übertragungen des Bizarre Festivals und Rock am Ring. Von Patti Smith bis U2 Auch für Spätgeborene erweist sich „Rockpalast“ (Hardcover, 256 Seiten, 29,95 Euro) als spannende Musiklektüre, die den Weg so mancher späteren Kultband kreuzte. Neben der Patti Smith Group (1979) und ZZ Top (1980) sind hier wohl in erster Linie U2 (1983) und natürlich die Red Hot Chili Peppers (1985) zu nennen, die es laut Rüchel kaum glauben wollten, dass ihr Zugabenteil mit den heute legendären Schniedelsocken ungeschnitten nach halb Europa ausgestrahlt wurde. „Rockpalast“-Fans bis in die DDR In der Reichweite lag die besondere Magie der Sendung: Sowohl am Nordkap als auch in Italien und sogar in Teilen der ehemaligen DDR versammelten sich Heerscharen an Jugendlichen zu so genannten Rockpalast-Nächten. Selbst die Bands fanden schnell Gefallen an der „Rockpalast“-Philosophie: Für die Aussicht, mit einem einzigen Live-Konzert so viele Menschen erreichen zu können wie mit einer ganzen Tournee, spielten selbst Megastars wie The Who anstandslos ein komplettes Set in der leeren Essener Grugahalle, um dem WDR-Team einen visuellen Eindruck für die Live-Ausstrahlung zu geben. Eurovisionsmelodie als Startsignal In einer aus heutiger Sicht unfassbar grauen Zeit für Musikfans, zumal derer außerhalb großer Metropolen, bedeutete die Eurovisionsmelodie das Startsignal zum großen Rock’n’Roll-Heilsversprechen. Wohlgemerkt: Wir sprechen von einer Zeit, als im Fernsehen nur zwei Programme sowie die Dritten existierten und nachts allen Ernstes ein Testbild in Kombination mit einem 1000 Hertz-Ton ausgestrahlt wurde. Bis zum „Formel Eins“-Start 1983 gab es für deutsche Musikfans außer dem „Rockpalast“ nur Michael Leckebuschs Studio-Sendung „Musikladen“. Anekdoten kommen nie zu kurz. Etwa Van Morrissons Zorn, 1982 unmittelbar nach Motown-Newcomer Rick Jones auf die Bühne steigen zu müssen. Rüchels Erinnerungen lockern hervorragende Fotos sowie Texte von ‚fremden‘ Autoren auf, darunter Bandbetreuer oder Musiker wie Wofgang Niedecken.