Dec
3
2010

Losers And Winners

Losers And Winners

Es gibt Gewinner im Pop, aber es gibt noch viel mehr Verlierer. Keith Richards gehört ohne Zweifel zu Ersteren. Seit Mitte der 60er Jahre reitet der Gitarrist der Rolling Stones auf einer Welle aus Rausch, Euphorie, Respekt seitens der Kollegen und Liebe seitens der Fans. Klar, auch er hat den einen oder anderen schlimmen Augenblick erlebt, doch letztendlich hat er den Kopf immer wieder aus der Schlinge gezogen. Im Gegensatz dazu steht Luke Haines, der in der ersten Hälfte der 90er Jahre einen kurzen Erfolg als Frontmann der Band Auteurs feierte. Danach verschwand er in der Versenkung. Auch er ritt auf einer Welle aus Rausch, Euphorie, Respekt seitens der Kollegen und Liebe seitens der Fans, wenn auch in kleinerem Maße. Doch plötzlich war alles vorbei. Bis er 2010 eine sarkastische Abrechnung mit sich selbst und dem Musik-Business verfasste, krähte kaum noch ein Hahn nach ihm. Erster Erfolg mit einem Beatles-Song Was unterscheidet Richards und Haines? Die ernüchternde Erkenntnis, von Äußerlichkeiten mal abgesehen, lautet: Nicht viel. Beide glaubten an ihre Musik und an ihre Fähigkeiten. Beide ergatterten Verträge bei großen Plattenfirmen, die Geld und Personal in ihre Karrieren steckten. Der wesentliche Unterschied lag in den Umständen. Unumwunden gibt Richards zu, dass die Rolling Stones ihren ersten Erfolg den Beatles verdanken. Nicht nur, weil ihre erste Erfolgssingle „I Wanna Be Your Man“ aus der Feder von Lennon/McCartney stammte. Ihren Vertrag mit Decca bekamen sie, weil die Plattenfirma die Beatles abgewiesen hatte und nun dringend einen Erfolg verbuchen musste. Medienwirksame Wortgefechte Auch die Presse lechzte nach einem Gegenpol zu den adrett gekleideten und fröhlichen Mannen aus Liverpool. Da kamen die ungezogenen Burschen Jagger und Richards aus den Vororten Londons gerade recht. In einen ähnlichen „Zweikampf“ geriet Haines. Nur gehörte er nicht zu einem der zwei Pole. Nachdem sich die Auteurs mit den ebenfalls aufstrebenden Suede medienwirksame Wortgefechte geliefert hatten, lautete das neue Stichwort plötzlich Britpop. Nun hieß es von einem Tag auf den anderen „Blur vs. Oasis“. Alles andere geriet zu nebensächlichem Geplänkel. Als der Britpop-Hype Ende der 90er Jahre abflaute, hatten die Auteurs längst das Handtuch geworfen. Korrupte Polizei, sensationslüsterne Medien Die Rolle der Medien dabei, insbesondere der britischen, nehmen sowohl Richards als auch Haines mit Befremden zur Kenntnis. Dass musikalischer Geschmack etwas Persönliches ist, lassen beide gelten, doch geht es ihnen eher um die Kampagnen, die losgetreten werden und die mit der Realität nicht viel zu tun haben. Seine Probleme mit der Justiz habe er vor allem korrupten Polizisten und sensationslüsternen Journalisten zu verdanken, viele Berichte seien frei erfunden worden oder wissentlich falsch, so Richards. Ebenso halten beide ihre Fans auf Distanz. Geradezu traumatisiert zeigt sich Richards von der Erinnerung an die Schrei- und Feuchte-Höschen-Orgien der Anfangszeit. Unverständnis zeigt auch Haines, der es Aufgrund seiner existentialistischen Themenwahl mit Möchtegernterroristen und japanischen Sektenmitgliedern zu tun hatte. „Sting, ein Schwachkopf vor dem Herrn“ Losers and Winners – gerade wegen der unterschiedlichen Betrachtungswinkeln sind beide Bücher lesenwert. Haines‘ Tiraden gegen Noel Gallagher, Damon Albarn und seinen nie namentliche erwähnten Cellisten machen die Chronik seines Scheiterns durchaus amüsant. Keiner ist vor ihm sicher. „Eine Hand streckte sich mir entgegen, um die meine zu schütteln. Die Hand kam aus einem glänzenden, grünen Overall. Einem Overall mit lächerlichen Schulterpolstern. Der Besitzer des Overalls war der Schwachkopf vor dem Herrn: Sting. Ein Mann, der sich einzig und allein kraft seines unbändigen Ehrgeizes ganz nach oben gekämpft hatte und dabei gekonnt sämtliche albernen Gefühle von Vernunft oder Integrität über Bord geworfen hatte“. Kleiner Schwanz, große Eier Mit Herabwertungen hält sich auch Richards nicht zurück. Am meisten Fett kriegen seine Band-Kollegen Brian Jones, Bill Wyman und vor allem Mick Jagger ab. Dass der Sänger einen kleinen Schwanz, dafür um so dickere Eier habe, ist die meistzitierte Passage aus dem Buch. Wichtiger ist jedoch die abschließende Feststellung, dass Jagger zwar kein Freund sei, dafür aber ein Bruder. Also verbindet die zwei ein Verhältnis, das letztendlich noch viel tiefer geht als das einer Arbeitsgemeinschaft und so jeglichem Zwist standhält. Lustig sind die vielen Anekdoten über Probleme mit der Justiz, Drogeneskapaden, Saufgelage und all die Eigenheiten, die Richards als Rockstar pflegt. Angefangen bei der Sheperd’s Pie, die unangetastet vor jedem Auftritt in seinem Umkleideraum zu stehen hat. Überhaupt zeigt sich der Gitarrist kulinarisch wenig zum Spaß aufgelegt: Als ihm bei der Hochzeit seines Sohnes spät nachts die Frühlingszwiebeln für sein Leibgericht, Würstchen mit Kartoffelbrei, abhanden kommen, verfolgt er den armen Schuldigen mit einem Küchenmesser bis in den Wald. Anekdote aus der Feder von Kate Moss Eine Geschichte am Rande, die aus der Feder von Kate Moss stammt. Eine der Stärken von Richards Memoiren liegt darin, dass er auch andere zu Wort kommen lässt. Mit einer bezeichnenden Ausnahme: Mitglieder und Ex-Mitglieder der Rolling Stones. Mit 700 Seiten ist das Werk vielleicht etwas zu dick geraten, kurzweilig ist es allemal. Erfolg hin oder her: Sowohl Haines als auch Richards zeigen auf, dass das Leben als Musiker sicherlich nicht nur Zuckerschlecken ist. Aber auch, dass es unterhaltsam ist und verdammt viel Spaß macht. Zumindest manchmal. Keith Richards: „Life“. Erschienen bei Heyne, gebunden, 26,99 EUR Luke Haines: „Bad Vibes – Britpop und der ganze Scheiß“. Erschienen bei Heyne Hardcore, Taschenbuch, 12 EUR