Einmal einen Plausch mit Eddie Vedder halten… viele träumen davon. Michael Rensen, heute Chefredakteur vom Magazin „RockHard“, lernte den charismatischen Sänger bereits in den 1990ern kennen und beantwortet hier aus erster Hand die Frage: Welcher Mensch steckt hinter dem Rockstar?
Text: Michael Rensen
Ich traf Eddie Vedder zum ersten Mal Mitte der neunziger Jahre, als er für eines der ersten Pearl-Jam-Alben Interviews gab. Er saß mir in einem Hotelzimmer gegenüber und trug tatsächlich eines dieser Holzfäller-Karohemden, die zum Grunge gehörten wie Gitarren zur Rockmusik. Ansonsten entsprach Vedder aber keinem der gängigen Genre-Klischees. Er war kein Getriebener, von Drogen Zerfressener wie der zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbene Kurt Cobain oder Alice-In-Chains-Sänger Layne Staley, kein exaltierter Charakter wie Chris Cornell von Soundgarden und auch kein so labiler wie Stone-Temple-Pilots-Frontmann Scott Weiland.
Stimme mit Strahlkraft
Eddie sprach bedächtig, vertrat aber klar formulierte eigene Ansichten; er war zurückhaltend, ohne dabei schüchtern zu sein, und versuchte gar nicht erst, den abgeklärten Medienprofi zu spielen. Vor mir hatte ich jemanden, der vor allem von einer tiefen Liebe zur Musik erfüllt war, einen Künstler durch und durch, aber einen mit wachem Blick und ausgeprägtem Bewusstsein für gesellschaftliche Missstände. Und da war natürlich seine einmalige, einnehmende Stimme, bei der man nach spätestens zwei gesprochenen Sätzen eigentlich darum bitten wollte, ob er seine Statements nicht einfach singen könne, weil schon im Gespräch so viel Melodie und musikalische Wärme mitschwang, dass man spontan Lust auf ein Vedder-Unplugged-Konzert bekam. Natürlich erzählte ich ihm dies nicht, sondern geduldete mich bis zu den nächsten Pearl-Jam-Shows, die pure Magie waren. Und das Erstaunlichste: Heutzutage kann man bei Konzerten der Band immer noch erfreut feststellen, dass Eddies Organ mit den Jahrzehnten nichts von seiner charismatischen Faszination und Strahlkraft verloren hat.
Vom Gelegenheitsjobber zum Grunge-Gott
Um den Menschen Eddie Vedder kennen zu lernen, muss man seinen Lebensweg betrachten, denn er kommt einst über Umwege in die Grunge-Szene: Geboren wird er 1964 weit weg von Seattle in einem Vorort von Chicago, nach zwei Scheidungen seiner Mutter wohnt er als Teenager in Kalifornien bei seinem Stiefvater und findet in den Liedern von The Whos Pete Townshend, die er auf der Akustikgitarre nachspielt, Zuflucht vor der Tristesse des Alltags. Eddie schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, schmeißt zwischenzeitlich die Highschool und lernt nach mehreren kleineren musikalischen Projekten den ehemaligen Red-Hot-Chili-Peppers-Drummer Jack Irons kennen, der ihn in Kontakt mit den Ex-Mother-Love-Bone-Mitgliedern Stone Gossard und Jeff Ament bringt, die wiederum in Seattle eine neue Band gründen wollen. Vedder singt mit Chris Cornell den Song „Hunger Strike“ für das Temple-Of-The-Dog-Projekt von Gossard und Ament ein, kurz darauf entsteht das Pearl-Jam-Debütalbum „Ten“, mit dem Vedder 1991 fast über Nacht zu einer der größten Ikonen des Grunge aufsteigt. Die Platte, eine der fabelhaftesten Rock-Scheiben der frühen neunziger Jahre, verkauft sich alleine in den USA über 13 Millionen Mal, Eddie und seine Nebenleute sind plötzlich Superstars, die von TV-Sendern und Klatschmagazinen belagert werden wie Hollywood-Celebrities.
Happenings für die Fangemeinde
Doch Pearl Jam verweigern sich sehr schnell der Mainstream-Medienmaschinerie, verzichten weitestgehend auf Videoclips, geben nur ausgewählte Interviews und boykottieren sogar jahrelang den mächtigen amerikanischen Konzertkarten-Konzern Ticketmaster, weil sie mit dessen Geschäftsgebaren nicht einverstanden sind. Insbesondere Vedder sperrt sich immer wieder dagegen, als Stimme seiner Generation vermarktet zu werden. Stattdessen entscheidet er sich mit seinen Bandkollegen ganz bewusst dazu, sich auf Pearl Jams Kern-Anhängerschaft statt auf den Massenmarkt zu konzentrieren und damit geringere Absatzzahlen in Kauf zu nehmen.
Spätestens mit den Alben „Yield“ (1998), „Binaural“ (2000) und „Riot Act“ (2002) verabschiedet man sich von den üblichen Grunge-Standards und etabliert sich als Roots-bewusste Rockband mit einem Jamrock-Einschlag, die von ihren Anhängern kultisch verehrt wird. Pearl-Jam-Konzerte entwickeln sich mit den Jahren immer mehr zu legendären Happenings, wie sie sonst nur Grateful Dead und die Dave Matthews Band auf die Bühne bringen.
Engagement mit Understatement
Neben seinen Aktivitäten mit Pearl Jam steuert Vedder Songs zu Soundtracks wie „Dead Man Walking“, „I Am Sam“ und „Reign Over Me“ bei, veröffentlicht seine Soloalben „Into The Wild“ (2007) und „Ukulele Songs“ (2011), spielt in Filmen wie „Singles“ mit und arbeitet unter anderem mit The Who, Neil Young, den Ramones, R.E.M., Tom Petty und den Doors zusammen. Aber er verliert auch die Welt jenseits der Musik nie aus den Augen, bis heute engagiert sich der passionierte Surfer für Umweltschutz, verfolgte Minderheiten und eine freiere, gerechtere Gesellschaft, ohne dabei sich selbst als Person in den Vordergrund zu stellen.
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