Jun
2
2015

Music for Nations – Die Rückkehr einer Legende

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3. Februar 1984. Bei einer After-Show-Party im Züricher Volkshaus gehen Fensterscheiben zu Bruch, als eine blutjunge kalifornische Metal-Band es etwas zu heftig krachen lässt. Die Situation eskaliert, bis schließlich ein wütender Schweizer Mob auf die Musiker losgeht.

Text: Michael Rensen

Geistesgegenwärtig schnappt sich ein Betreuer die amerikanischen Greenhorns und verbarrikadiert sich mit ihnen in einer Umkleidekabine, bis sich die Gemüter abgekühlt haben. Die Band hört auf den Namen Metallica und ist heute der hellste Fixstern im Schwermetall-Universum, der Betreuer arbeitet damals für die ebenfalls noch junge britische Plattenfirma Music For Nations, die für ihre Künstler auch mal ein blaues Auge riskiert. Und das nicht nur wie in Zürich im direkten Wortsinn. Das 1983 von dem Musik-Enthusiasten Martin Hooker gegründete Label setzt alles auf eine Karte, wenn es von einer Band überzeugt ist, und investiert, wo andere längst einen Rückzieher gemacht hätten. Als sich abzeichnet, dass Metallicas US-Plattenfirma nach dem von Music For Nations in Europa vertriebenen Debütalbum „Kill ´Em All“ zu klein ist, um den Thrashern bei ihrem nächsten Karriereschritt helfen zu können, finanzieren Hooker und seine Kollegen die Aufnahmen zur zweiten Platte „Ride The Lightning“, veröffentlichen in Eigenregie die „Jump In The Fire“-EP und buchen die Band für viel Geld auf eine Europatour von Twisted Sister.

Von Metallica zu Opeth

Aber das Risiko zahlt sich aus. Mit den ersten drei Metallica-Alben und weiteren herausragenden Scheiben von aufstrebenden US-Acts wie Megadeth, Anthrax, Manowar, Exodus oder Slayer entwickeln sich Music For Nations Mitte der achtziger Jahre zu einem der wichtigsten Heavy-Metal-Labels Europas. In den Neunzigern beschränkt man sich dann nicht mehr nur darauf, amerikanische Perlen über den Atlantik zu karren, sondern nimmt verstärkt auch eigene Entdeckungen unter Vertrag. Insbesondere originelle düstere Bands wie Paradise Lost, Opeth, Cradle Of Filth oder Anathema finden bei der Londoner Firma ein Zuhause, wo sie sich in kreativer Hinsicht nach Herzenslust austoben und auf die Rückendeckung erfahrener Musik-Fachleute verlassen können.

Der Neuanfang

2004 müssen Music For Nations dann allerdings den sich dramatisch verändernden Marktgegebenheiten Tribut zollen und nach einigen geschäftlichen Rückschlägen vorerst ihre Pforten schließen. Der Markenname genießt jedoch in Headbanger-Kreisen auch Jahre später noch einen so exzellenten Ruf, dass das Unternehmen 2015 wiederbelebt wird. Im April wurde das erste Projekt der neuen Ära gestartet: Anathema brachte ihren Music for Nations-Katalog auf den Markt. Songwriter und Gitarrist Daniel Cavanagh dazu begeistert: “Ich bin überglücklich, dass unsere Veröffentlichungen bei Music for Nations endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Es hat unglaubliche Freude gemacht, an dem Package zu arbeiten. Das neue Artwork, das Remastering und die Möglichkeit ein paar Überraschungen einzubauen – all das war eine großartige Erfahrung!

Neben solchen überarbeiteten und erweiterten Neuauflagen diverser Klassikeralben erscheinen bei Music For Nations jetzt auch die Highlights aus dem Katalog des New Yorker Metal- und Hardcore-Labels Combat Records (unter anderem Alben von Agnostic Front, Possessed und Sick Of It All). Man nimmt sogar wieder neue Künstler unter seine Fittiche – und will sich auch notfalls mit ihnen in Umkleidekabinen verschanzen …

Hörtipps

Diese fünf Music-For-Nations-Veröffentlichungen sollte jeder Schwermetaller kennen:

Albumcover_Anathema_Fine_Days_rockde1. Anathema: Fine Days 1999-2004
Mit diesem Boxset erhält man einen guten Überblick über die mittlere Schaffensphase der britischen Melodramatiker. Das Package enthält die Alben „Judgement“ (1999), „A Fine Day To Exit“ (2001) und „A Natural Disaster“ (2003) in remixten und um Bonustracks und ausführliche Booklets ergänzten Versionen sowie die DVD „Were You There“ aus dem Jahr 2004.  

 

Albumcover_Opeth_Blackwater-Park_rockde2. Opeth: Blackwater Park
Mit „Blackwater Park“ gelingt den Schweden Opeth 2001 endgültig der Schritt vom kultigen Death-Metal-Abrisskommando zum sehr vielseitigen Crossover-Kollektiv. Extremer Metal und feinsinniger progressiver Rock verbinden sich zu einem faszinierenden, völlig eigenständigen Sound, der prägend wird für die weitere Karriere von Mikael Akerfeldt und seinen Bandkollegen. Ebenfalls sehr zu empfehlen sind die ähnlich scheuklappenfreien Nachfolgewerke „Deliverance“ (2002) und „Damnation“ (2003).

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3. Paradise Lost: Draconian Times
„Draconian Times“ aus dem Jahr 1995 markiert den kreativen Höhepunkt der frühen Paradise-Lost-Jahre und gilt bis heute als eines der drei wichtigsten Alben der Briten. Nicht nur die beiden Erfolgs-Singles „The Last Time“ und „Forever Failure“, sondern sämtliche Songs der LP sind feinster Goth/Death-Metal, auf den sich bis heute zahlreiche Nachahmer berufen. Wer Lust auf mehr bekommt, wird auch mit „Shades Of God“ (1992), „Icon“ (1993) und „One Second“ (1997) bestens bedient. 

Albumcover_Spiritual_Beggars_On_Fire_rockde4. Spiritual Beggars: On Fire
Als noch niemand vom großen Retro-Rock-Boom sprach, veröffentlichten die Spiritual Beggars um Mastermind Michael Amott bereits Platten, die heute zu Recht als Genre-Klassiker gelten. Einer dieser Diamanten ist „On Fire“ (2002), die erste Platte der Schweden mit Grand-Magus-Sänger JB. Gediegener Siebziger-Jahre-Hardrock, feiste Hammondorgel-Röhrer und eine knarzige Stoner-Kante machen die Scheibe zu einem zeitlos guten Hörvergnügen.

Albumcover_Cradle_of_Filth_Cruelty_and_the_Beast_rockde5. Cradle Of Filth: Cruelty And The Beast
Mit ihrem dritten Studioalbum „Cruelty And The Beast“ gelingt den britischen Black-Metallern Cradle Of Filth 1998 der endgültige internationale Durchbruch. Das Konzeptwerk über die ungarische Blutgräfin Elisabeth Báthory kombiniert schwarzmetallische Boshaftigkeit mit edler Goth-Ästhetik und theatralischem Bombast und macht die Gruppe um Sänger Dani Filth zur größten Genre-Band des späten 20. Jahrhunderts. 

Old Label, New Danger

Mehr dazu findet auf der Music For Nations Website.