Kurz vor seinem 75. Geburtstag am 24. Mai macht sich Bob Dylan selbst ein Geschenk – und seinen Fans gleich mit: „Fallen Angels“, sein 37. Studioalbum. Allerdings hat der größte aller Songwriter keinen der Tracks darauf selbst geschrieben: Wie schon auf seinem letztjährigen Album „Shadows In The Night“ covert Dylan Klassiker des Great American Songbook.
Text: Ernst Hofacker
Tatort Los Angeles. Genauer: das Studio B der legendären Capitol Tonstudios in Hollywood. Hier hatte bereits in den 1950er-Jahren Frank Sinatra mit dem Nelson Riddle Orchestra seine großen Klassiker eingespielt, und hier hatte 2014 auch Bob Dylan seine Tourband versammelt, um das Album „Shadows In The Night“ aufzunehmen.
So mancher in der weltweiten Dylan-Gemeinde allerdings hatte sich schwer getan mit dieser Platte. Denn erstmals in seiner Karriere hatte sich Dylan hier bei den großen Originalen des Great American Songbook bedient und Songs wie „I Am A Fool To Want You“ und „Autumn Leaves“ gesungen. Die Lieder stammten ausnahmlos aus dem Repertoire von Frank Sinatra, der sie ein halbes Jahrhundert zuvor bekannt gemacht hatte. Und Dylan hatte das Material nicht etwa verrockt, er hatte es im Stil eines echten Crooners und mit dem gebührenden Respekt neu interpretiert.
Fortsetzung als Crooner
Wenn auch nicht jeder mit diesem neuen Dylan-Gefühl zurechtkam – dem Meister selbst scheint der Ausflug in die gediegene Swing- und Balladen-Tradition der Prä-Elvis-Ära gefallen zu haben: Er hat’s nun gleich noch mal getan. Im Laufe des vergangenen Jahres hat Dylan mit seiner Band ein weiteres Dutzend Klassiker eingespielt, und wiederum verbindet Originale wie „Young At Heart“, „That Old Black Magic“ und „Come Rain Or Come Shine“ der Umstand, dass es Sinatra war, der sie einst berühmt gemacht hat. Mit einer Ausnahme: „Skylark“, eine bittersüße Ballade aus der Feder von Hoagy Carmichael und Johnny Mercer, die 1942 durch Bing Crosby zum Hit geworden war (den Text soll Mercer übrigens für Judy Garland geschrieben haben, mit der er seinerzeit eine Affäre hatte). Ansonsten aber gilt für „Fallen Angels“ wie auch für „Shadows In The Night“: Approved by Ol’ Blue Eyes!
1. Young At Heart
2. Maybe You’ll Be There
3. Polka Dots And Moonbeams
4. All The Way
5. Skylark
6. Nevertheless
7. All Or Nothing At All
8. On A Little Street In Singapore
9. It Had To Be You
10. Melancholy Mood
11. That Old Black Magic
12. Come Rain Or Come Shine
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Dass Dylan in seinen reifen Jahren den Weg zurück gefunden hat zur Musik seiner Jugend und den Quellen, die seine einzigartige Karriere einst inspiriert haben, hatte sich für Kenner des großen Unberechenbaren schon lange angedeutet. Alben wie „Love And Theft“ und auch die Playlists seiner jahrelang beim US-Internetsender XM Satellite Radio ausgestrahlten „Theme Time Radio Hour“ dokumentierten Dylans Auseinandersetzung mit dieser Musik schon seit geraumer Zeit.
Bereits anlässlich der Veröffentlichung von „Shadows In The Night“ hatte Dylan klargestellt: „Weder ich noch irgendjemand sonst reicht an Sinatra heran!“ Ein großes Kompliment an die 1998 verstorbene Entertainment-Legende.
Freilich: Auch an Dylan reicht niemand heran, schon gar nicht an seine Verdienste als Songwriter. Keine Frage also, dass umgekehrt auch seine Songs im gediegenen Crooning-Gewand des Great American Songbook eine gute Figur machen würden. Zum Beispiel diese fünf, die das US-Magazin „Rolling Stone“ vor einigen Jahren zu seinen besten kürte:
1. „Like A Rolling Stone“ (von „Highway 61 Revisited“, 1965)
Der Song wurde zum Manifest der 60s-Gegenkultur und gilt bis heute als einer der definierenden Momente in der Geschichte der amerikanischen Musik. Das dazugehörige Album war Dylans erstes komplett elektrisches und markiert den Moment, in dem der Songpoet aus Hibbing, Minnesota, zum Messias der weltweiten Popgemeinde aufstieg. U2-Sänger Bono schrieb über Bob Dylan und „Like A Rolling Stone“: „Der Mann, der mit Schöheit und Wahrheit jongliert wie kein anderer – unser eigener Willy Shakespeare.“
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2. „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ (von „The Freewheelin’ Bob Dylan“, 1963)
Dylan, der Folkie. In den Cafés von Greenwich Village hatte er sich schon in den frühen Sechzigern eine fanatische Gefolgschaft ersungen. Und spätestens nach seinem zweiten Album, dem 1963er-Geniestreich „The Freewheelin’ Bob Dylan“, und wortgewaltiger Gesellschaftskritik á la „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ war er der neue Held des Folk-Movements. Rolling Stone: „Ein siebenminütiges Epos, das vor der kommenden Apokalypse warnt, gleichzeitig aber die Horrovisionen mit alttestamentarischem Furor beschreibt.“
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3. „Tangled Up In Blue“ (von „Blood On The Tracks“, 1975)
Dylan verstand sich nicht nur auf Gesellschaftskritik, spätestens seit „Another Side of Bob Dylan“ (1964) hat er sein überragendes poetisches Talent auch zur Reflektion über sehr persönlicher Themen genutzt. „Blood On The Tracks“, mit dem er 1975 die Trennung von seiner langjährigen Ehefrau Sara Loundes aufarbeitete, zählt zu den stärksten Alben in seinem reichen Katalog. Zu dessen zentralem Song „Tangled Up In Blue“ merkte der Meister selbst gelegentlich auf der Bühne an: „Ich brauchte zehn Jahre, um diesen Song zu leben, und zwei Jahre, um ihn zu schreiben.“
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4. „Just Like A Woman“ (von „Blonde On Blonde“, 1966)
Nach „Bringing It All Back Home“ und „Highway 61 Revisited“ war „Blonde On Blonde“ im Jahr 1966 der grandiose Abschluss der berühmten Albumtrilogie, mit der Dylan die Wandlung vom Hoffnungsträger des Folk-Revival zum internationalen Rockstar vollzog. Das Doppelalbum bot Klassiker gleich im Dutzend, darunter auch diese ebenso einschmeichelnde wie lyrisch doppelbödige Ballade „Just Like A Woman“. „Rolling Stone“: „Komplexe Mischung aus Bewunderung und Enttäuschung, Rache und Reue.“
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5. „All Along The Watchtower“ (von „John Wesley Harding“, 1968)
Berühmt wurde die explosive Rockversion dieses Songs, die Jimi Hendrix 1968 auf seinem Album „Electric Ladyland“ präsentierte. Das Dylan-Original, veröffentlicht 1968 auf dem introvertierten Folk-/Countryalbum „John Wesley Harding“, war in seinem kargen Arrangement noch deutlich subtiler angelegt. Dennoch gefiel Bob Dylan auch Hendrix’ Version, die er so kommentierte: „Er spielte meine Songs genauso, wie ich sie gespielt hätte, wenn ich er gewesen wäre.“
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