Oct
11
2016

Joe Cocker: Drei Pennys für den Karrierestart

Joe Cocker Todestag Rock.de

Joe Cocker stand für ungekünsteltes Auftreten und echte Emotionen – genau deshalb liebten ihn seine Fans.  „The Life Of A Man“ setzt dem 2014 verstorbenen Sänger aus dem englischen Sheffield nun das angemessene Denkmal. Und sie erzählt die faszinierende Geschichte eines (Überlebens-)Künstlers, der mit der oberflächlichen Glamourwelt des Showbiz auf Kriegsfuß stand – vom ersten Tag an…

Text: Ernst Hofacker

Schon der Start war symbolisch: Wochenlang hatte der 16-jährige John Robert „Joe“ Cocker mit ein paar Kumpels im heimischen Wohnzimmer Songs geprobt und nun stand der erste öffentliche Auftritt seiner Band The Cavaliers bevor. Stattfinden sollte er in einem Jugendclub in Crookes, einem Vorort der englischen Industriemetropole Sheffield, wo Joe am 20. Mai 1944 geboren worden war.

Als die vier hoffnungsvollen Newcomer mit ihrem kärglichen Equipment vor der Tür der Veranstaltungshalle standen, wollte der Mann an der Kasse den Teenagern jedoch nicht wirklich glauben, dass sie für einen Auftritt gebucht worden waren. Also verlangte er von jedem einzelnen drei Pence Eintritt. Alles Lamentieren half nichts, die Jungs mussten zahlen. Eine Demütigung, der gleich darauf die nächste folgte: Als die Gruppe endlich in der Garderobe angekommen war und sich dort auf ihren großen Auftritt vorbereiten wollte, machte der Veranstalter zur Bedingung, dass sie für die Bühne Make-up auflegten. Auch dagegen konnten sich Joe und seine Freunde nicht wehren. Ansonsten ist überliefert, dass die Cavaliers ihre Sache an jenem Abend offenbar ganz ordentlich machten. Sie spielten Songs wie Chuck Berrys „Johnny B. Goode“, Cliff Richards „Move It“ und Eddie Cochrans „Twenty Flight Rock“, und sie durften in den folgenden Monaten auch in anderen Jugendclubs der Gegend auftreten.

„There’s no business like show business“

So viel also steht fest: Bereits bei seinem ersten Gig hatte Joe Cocker draufzahlen und Bekanntschaft mit den strengen Spielregeln des Showbusiness machen müssen. Die Anekdote aus der autorisierten Cocker-Biografie von J. P. Bean steht symptomatisch für die ersten zwei Jahrzehnte in der Karriere dieses Ausnahmetalents. Was immer er an künstlerischen Highlights zu liefern imstande war, Cocker war derjenige, der am wenigsten davon hatte. Er schien das geborene Opfer in einer Branche, die zuallerletzt Rücksicht auf die Zerbrechlichen in ihren Reihen nimmt – ein gelernter Gasinstallateur und impulsiver Instinktmensch, dem Berechnung und Pose so fremd waren wie das Kleingedruckte in den Verträgen, mit denen er von Anfang an ausgenommen wurde.

Von seiner ersten Single, dem Beatles-Cover „I’ll Cry Instead“, erhielt er, so erzählte er einmal, einen Tantiemenscheck in Höhe von lächerlichen 1,97 Dollar. Und nach der strapaziösen „Mad Dogs & Englishmen“-US-Tournee, die er aufgrund vertraglicher Verpflichtungen und gegen seinen Willen im Frühling 1970 unternehmen musste, war er zwar einer der begehrtesten Live-Acts der Szene, aber auch physisch und psychisch ausgebrannt. Finanziell war das Ganze ohnehin ein Fiasko gewesen: Nach 48 Konzerten in 56 Tagen und einem im Kino erfolgreichen Tourneefilm hatten sich viele der Beteiligten eine goldene Nase verdient, nicht so der Sänger – ihm blieben nach Abzug seiner Kosten gerade mal 862 Dollar.

Die Stehaufmännchenmentalität des Joe Cocker

Joe Cocker Todestag Formel EinsEs folgte ein Jahrzehnt am Abgrund, gezeichnet von schlimmen Drogen- und Alkoholexzessen sowie von zunehmender künstlerischer Orientierungslosigkeit.  Ganz offenbar kapitulierte Cocker vor dem gnadenlosen Druck, den das Showbusiness auf seine umsatzträchtigsten Stars ausübt. 1976 setzte niemand mehr einen Pfifferling auf ihn, der Mann aus Sheffield schien am Ende. Dass Cocker dieses Ende aber überlebte, verdankte er seinen erheblichen Nehmerqualitäten und seiner Stehaufmännchenmentalität. Allmählich fing er sich wieder. Vor allem der gemeinsam mit Jennifer Warnes gesungene Welthit „Up Where We Belong“, der ihm 1982 seine erste und einzige US-Nr. 1 und daraufhin einen Grammy bescherte, half ihm in die Spur zurück. Alben wie „Sheffield Steel“ (1982) und „Civilized Man“ (1984) wurden zu soliden Verkaufserfolgen und festigten Cockers Rang als eines der großen Originale der Rock-Ära.

Dazu entwickelte er sich nun – wie auch einige weitere Veteranen der Sixties – zu einer der größten Konzertattraktionen der Rockszene. Sein Kapital: Neben einer beeindruckend intensiven Bühnenperformance waren dies legendäre Songs wie „With A Little Help From My Friends“, das ihn 1969 in Woodstock berühmt gemacht hatte, und Klassiker wie „You Are So Beautiful“, „The Letter“ und „Delta Lady“, denen er mit seiner einzigartigen Interpretation einen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt hatte.

In den beiden letzten Jahrzehnten seiner Laufbahn konnte Joe Cocker endlich den Status einer allseits anerkannten Ikone der populären Musik genießen, dazu hatte er seine privaten Dämonen dauerhaft überwunden. Als er kurz vor Weihnachten, am 22. Dezember 2014, mit 70 Jahren an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung starb, hatte die Welt den wohl besten Blues- und Soulsänger verloren, den England hervorgebracht hat. Sein lebenslanges Idol, der große Ray Charles, hat einmal über ihn gesagt: „Er war mein einziger wirklicher Schüler.“

Joe Cocker - The Life of a Man AlbumcoverJoe Cocker – The Life Of A Man (Essential Edition)
The Life Of A Man – The Ultimate Hits 1968-2013 (Essential Edition) enthält 18 Klassiker aus sämtlichen Phasen von Joe Cockers Karriere.

Cover Joe Cocker The Life Of A Man Classic Rock.deJoe Cocker – The Life Of A Man
The Life Of A Man – The Ultimate Hits 1968-2013 enthält 36 Klassiker aus sämtlichen Phasen von Joe Cockers Karriere.