Nov
15
2017

Sweet: Chapter One – The Wild Bunch

Sweet

Was hat ein Stromausfall in Frankreich mit Weihnachten ohne Wahnsinn zu tun? Beides lieferte Sweet große Hits. Anlässlich ihres bevorstehenden 50. Geburtstages und dem Erscheinen der Box SENSATIONAL SWEET: CHAPTER ONE – THE WILD BUNCH erzählen wir die Geschichte zweier Welterfolge.

Text: Chris Hauke

Sie hatten es geschafft. Nach zahl- und zahnlosen Bubblegum-Singles Anfang der 70er hatten sich Sweet mit SWEET FANNY ADAMS 1974 zur Albumband hochgearbeitet und ihren Sound neu definiert. Hardrock statt Kinderlieder lautete die Devise – was allerdings nicht hieß, dass zwischendurch auch mal ein Top-Hit abfallen musste. Nach „Block Buster“, „Hell Raiser“, „Ballroom Blitz“ oder „Teenage Rampage“ war ein Jahr lang Funkstille auf den Toprängen der Singlecharts.

„Fox On The Run“ – Andy Scotts Blitzidee

Ein Anruf kurz vor Weihnachten 1974 soll für eine doppelte Wende sorgen: Im kommenden März würde die Band ihren Thron wieder erklimmen – und das erstmals mit einer Eigenkomposition. Zuvor wurden ihnen die Hits vom Duo Nicky Chinn und Mike Chapman auf den Leib geschrieben (und neben ihnen auch Suzi Quatro, Smokie und zahlreichen anderen), doch das Duo ist nicht greifbar, als die Plattenfirma anruft. Mike Chapman hatte zuvor „I Wanna Be Committed“ als sicheren Hit für die BBC vorgeschlagen, doch die reagiert abweisend. Einen Song spielen, in dem ein Mann wahnsinnig wird, weil er seine Frau verloren hat? Keine Chance. Die Verantwortlichen haben nach der rüden Abfuhr einen Favoriten: „Fox On The Run“. Das Problem: Er ist mit fünf Minuten zu lang für eine Single.

Der Job der Band ist es nun, die Nummer auf dreieinhalb Minuten zu reduzieren. Daneben hat Andy Scott die zündende Idee für das Intro: „Wir hatten immer wieder besondere Anfänge – wie die Sirene in ‚Block Buster‘ oder die Rufe ‚Lookout‘ in ‚Hell Raiser‘ und ‚We Want Sweet‘ bei ‚Teenage Rampage‘. So etwas brauchten wir auch für ‚Fox On The Run‘. Ich hatte zwar eine Idee, aber sie war noch nicht ausgearbeitet – irgendetwas mit Synthesizer-Tönen. Später wurde daraus dieses pulsierende ‚namanamanamanama‘, das den Song einleitet. Dummerweise war die Nummer ohne taktgebende Hilfsmittel eingespielt worden. Jeder glaubt, dass wir zu einer Art Click Track gespielt haben. Aber das war nicht so. Wir mussten daher ziemlich wild synchronisieren.“

Wie viel Anteil das Intro am Erfolg hat, lässt sich zwar nicht beziffern, doch die absoluten Zahlen etablieren Sweet auch als Komponisten: „Fox On the Run“ wird weltweit die meistverkaufte Single in der Geschichte der Band – nach dem SWEET FANNY ADAMS-Album ein weiterer Meilenstein in ihrer Entwicklung weg von den Teeniebopper-Marionetten.

„Love Is Like Oxygen“ – Session ohne Strom

Der letzte große Hit ihrer Karriere entsteht bei Kerzenschein und Rotwein. Die Aufnahmen zum Album LEVEL HEADED im Château d’Hérouville bei Paris sind beinahe abgeschlossen, als ein Gewitter einmal mehr die Stromzufuhr abschneidet. Sound Engineer Trevor Griffin setzt sich ans Klavier und spielt Andy Scott eine dreiteilige Suite vor, die er komponiert hat – inklusive eines Fanfaren-artigen Parts. Der Sweet-Gitarrist ist von dem klassisch angehauchten Werk angetan. Ein Teil davon hört sich für ihn gar nach einem Refrain an. Er greift zum Instrument und spielt ein Riff dazu. Beide sind sich einig, dass daraus etwas werden könnte und nehmen die Parts noch schnell mit Andys portablem Tonbandgerät auf – und legen es beiseite.

Als eine Abordnung von Management und Plattenfirma das Studio besucht, fällt der Satz, der einem jeden Kreativen den Tag verdirbt: „I don’t hear a single.“ Scott packt sein Tape Deck aus und spielt den Besuchern die Rohform der Nummer mit Griffin vor. Ihre Antwort: „Das könnte es sein.“ Andy erinnert sich: „Das war das Letzte, was ich hören wollte. Ich dachte, ich wäre mit dieser Platte durch.“

Bevor es zurück nach England geht, bringen er und der Rest hastig eine grobe Form auf Band. Über den damaligen Business Manager der Gruppe lernt Scott einen klassischen Arrangeur kennen, gemeinsam erstellen sie den Instrumental-Part der Nummer. Bleiben noch Text und Gesang. Jahre vor der Session ohne Strom fällt Scott in der Hall & Oates-Nummer „Grounds for Separation“ der Satz „Isn’t it a bit like oxygen“ derart ins Ohr, dass er ihn in seinem Textbuch notiert und damit herumspielt. Daraus entstehen „Not enough and you gonna die“ und „You get too much you get to high“, die den Refrain bilden werden, den Scott auch selber singt.

Für die Strophe braucht er Sänger Brian Connolly, der zu dieser Zeit schwere Probleme mit dem Alkohol hat. Doch der Frontmann lässt seine Band nicht hängen und kommt früh am Morgen ins Studio, um die beiden Verse einzusingen. „Er war wie ein Chorjunge, es war fantastisch. In dem Moment wusste ich, dass wir den Track hatten, der das Album anführen würde“, beschreibt Scott den Moment der Aufnahme.

Musikalische Fußabdrücke bis in die Gegenwart

Danach beginnt die Karriere langsam zu verblassen, doch bei der nachfolgenden Musikergeneration haben Sweet bleibende Eindrücke hinterlassen. Hardrock- und Metal-Bands wie Kiss, Mötley Crüe oder Def Leppard nennen sie als Einfluss:

„Without SWEET there would not have been a KISS“
GENE SIMMONS, Kiss

„We always wanted to be SWEET“
NIKKI SIXX, Mötley Crüe

„This is the band I wish I had been in“
JOE ELLIOT, Def Leppard

Einen besonderen Fan findet Scott aber ganz woanders: Am Ende des Jahrzehnts formiert sich in London die New Romantic-Szene. Ihre opulentes Styling fußt so tief im Glamrock, dass Clubchef Steve Strange, später bekannt durch Visage („Fade To Grey“), den Gitarristen auch in Lederjacke und Jeans in sein Etablissement bittet, wo er zwischen den geschminkten Gestalten wie ein Außenseiter wirkt. Schließlich sei er „Ehrenmitglied“. Der Name des Clubs? The Blitz.

Sweet CoverSENSATIONAL SWEET: CHAPTER ONE – THE WILD BUNCH (1971-1978)

Zum 50. Bandjubiläum erscheint mit SENSATIONAL SWEET: CHAPTER ONE – THE WILD BUNCH eine sensationelle Kollektion aller Aufnahmen aus den Jahren 1971 bis 1978 , und zwar auf insgesamt neun CDs. Dazu gehören alle Sweet-Alben, die in dieser Zeit erschienen, die teilweise mit bislang unveröffentlichten Bonustracks ergänzt wurden. Zusätzlich gibt es gleich drei Bonus-CDs: die THE LOST SINGLES ist eine Non-Album-Single-Kompilation und B-Seiten, ein Livekonzert  aus dem Rainbow Theatre in London vom Dezember 1973 (war seit 2007 nicht mehr als CD erhältlich) und eine bislang unveröffentlichte BBC-Sessions-Aufnahme auf AT THE BEEB.

Ein 52-seitiges Booklet mit viel spannendem Bildmaterial macht die Werkschau zu einem echten Schatzkästchen!

Übrigens – was Andy Scott über die Band und ihre Alben im Interview erzählt, könnt ihr auf www.70s-disco.de nachlesen!

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