Jul
31
2019

Melodic Rock: Fünf AOR-Kracher der 80er

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Songs statt Solos. Adult Orientated Rock, kurz AOR, verbindet die Kraft verzerrter Gitarren mit dem Glanz großer Melodien. Das Genre, das mit Bostons „More Than A Feeling“ 1976 seinen Anfang nahm und in den 1980er-Jahren zur vollen Blüte reifte, hat zahlreiche Welthits geschaffen. Wie zeitlos dieser Sound bis heute geblieben ist, zeigt aktuell auch die Netflix-Erfolgsserie „Stranger Things“. Hier sind fünf Highlights des Melodic Rock und ihre Geschichte(n):

Text: Chris Hauke

JOURNEY „Don’t Stop Believin'“ (1981)

Immer an sich glauben, dann wird es auch was mit der Karriere. Im Fall von Journey trifft diese Floskel zu, denn mit „Don’t Stop Believin'“ öffnet sich für den Fünfer die Pforte in die nächste Dimension. Es ist ein Einstand nach Maß für den neuen Keyboarder und Mitkomponisten Jonathan Cain, der den Song und damit auch das bahnbrechende Album ESCAPE mit einem Piano-Intro eröffnet.

Gestartet als jazzig-angehauchtes Progrock-Projekt der beiden einstigen Santana-Musiker Neal Schon (Gitarre) und Gregg Rolie (Keyboards, Gesang), entwickeln sich Journey mit dem Einstieg von Übersänger Steve Perry im Herbst 1977 und Songs wie „Wheel In The Sky“ zu einem Giganten. „Don’t Stop Believin'“ markiert den Zenit dieser Wandlung – neben Perrys Gesang und Cains Klavierspiel ist vor allem Schons meisterhafte und perfekt akzentuierte Gitarrenarbeit bis heute überirdisch – und etabliert Journey damit als eine der größten AOR-Bands aller Zeiten.

Den einzigen kleinen Makel des Songs kann man dabei als künstlerische Freiheit abtun: Perry schreibt den Text in Detroit und lässt sich dabei vom Flow der Worte mitreißen, als er den Jungen aus South Detroit erfindet. Den kann es aber nicht geben, denn South Detroit existiert nicht. Das läge nämlich in Kanada.

TOTO „Rosanna“ (1982)

Gleich mit der ersten Single einen Rockklassiker herauszubringen, muss man erst mal schaffen. Toto gelingt dieses Kunststück 1978 mit „Hold The Line“, doch der absolute Smash Hit sollte noch folgen: Das Album TOTO IV hievt die Band 1982 in die Radios und Hitparaden rund um die Welt, vor allem die Single „Rosanna“ sorgt dafür, dass die Band um Gitarrist Steve Lukather in aller Ohren ist. Basierend auf dem Schlagzeug-Groove von Jeff Porcaro, schüttelt sich das Kollektiv hochbegabter Musiker einen Dauerhit aus dem Ärmel, der deutlich komplexer aufgebaut ist, als er sich anhört. Die längere Albumversion mündet in einen Instrumentalpart, in dem die Mitglieder ihre Spielfreude ausleben.

Auf ihrer Basis wird auch ein ganz spezielles Video gedreht: Die Rolle der Titelheldin – inspiriert wurde der Name des Songs von Schauspielerin Rosanna Arquette, der damaligen Freundin von Toto-Keyboarder Steve Porcaro – übernimmt eine Tänzerin namens Cynthia Rhodes. Zu dieser Zeit noch unbekannt, wird sie sich mit Rollen in den Kultfilmen „Flashdance“ oder „Dirty Dancing“ im Verlauf des Jahrzehnts einen Namen machen.

Ein weiterer Tänzer im Video steht am Beginn einer noch größeren Karriere: Patrick Swayze. Aber auch die Toto-Musiker haben noch was vor: Im Anschluss an TOTO IV kehren sie für die Sessions zu Michael Jacksons THRILLER ins Studio zurück. Was für ein Jahr.

SURVIVOR „Eye Of The Tiger“ (1982)

„Hey Jim, Sylvester Stallone hier. Ruf mich bitte zurück.“ Diese kurze Nachricht auf seinem Anrufbeantworter ändert das Leben von Keyboarder/Gitarrist Jim Peterik und dem Rest von Survivor für immer. Nach zwei erfolgreichen Rocky-Filmen sucht Stallone für den dritten Teil einen härteren Sound und stößt dabei auf PREMONITION, das 1981er-Album der Truppe aus Chicago. Der Schauspieler hat dabei klare Vorstellungen von seinem Song: Er will einen durchgängigen Puls – sofort kommt Peterik die Achtelfigur in den Sinn, die den Song eröffnet und sich durch ihn hindurch zieht.

Den Titel entnehmen Peterik und Mitkomponist Frankie Sullivan der von Rockys einstigem Kontrahenten Apollo Creed im Film gesprochenen Phrase: „Du musst das Auge des Tigers wiederbekommen.“ Danach geht alles schnell – das Riff, die Akkordwechsel und der Text gehen Peterik und Sullivan leicht von der Hand. Stallone ist vom Ergebnis begeistert, Film und Song werden ein Riesenerfolg.

Dabei wäre es fast gar nicht dazu gekommen – hätte nur John Deacon anders entschieden. Der Queen-Bassist ist Autor von „Another One Bites The Dust“, das ursprünglich für Rocky 3 vorgesehen ist. Doch die Band verweigert Stallone die Freigabe. Für Survivor ist diese Absage der Start einer Weltkarriere. Danke John, danke Sly.

REO SPEEDWAGON „Can’t Fight This Feeling“ (1984)

Wie Journey versuchen sich auch die Mannen um Sänger Kevin Cronin und Leadgitarrist Gary Richrath in den 1970ern zunächst auf rockigerem Territorium, doch den ganz großen Erfolg bringen die Balladen. „Keep On Loving You“ vom Multi-Platin-Album HI INFIDELITY beschert REO Speedwagon 1981 ihren ersten Nr.1-Hit in den Staaten, „Can’t Fight This Feeling“ wiederholt diesen Erfolg vier Jahre später. Vordergründig handelt die Nummer von einer heimlichen Liebe und der Zerrissenheit des Protagonisten, doch Komponist Cronin hat eine zweite Ebene in den Text gepackt: „In Wahrheit geht es um meine Unfähigkeit und mangelnden Mut, meine Gefühle zu zeigen. Ich komme aus einer irisch-katholischen Familie und wurde dazu erzogen, immer so zu tun, als sei alles okay, selbst wenn innerlich nichts in Ordnung war. Damit habe ich lange kämpfen müssen. Damals konnte ich solche Gefühle nur ausdrücken, indem ich einen Song darüber geschrieben habe.“

Für Cronin und den Rest der Truppe lohnt sich dieser Therapie-Ansatz: Mehr als 500.000 Singles verkauft die Combo alleine in den USA. Bis heute darf die Nummer bei keinem Konzert der seit nunmehr fünf Jahrzehnten aktiven Band fehlen. Auch wenn der Sänger seine Angst vor Gefühlen längst überwunden hat.

MR. MISTER „Broken Wings“ (1985)

Bevor er mit Mr. Mister selber in die AOR-Elite aufsteigt, hilft Sänger und Bassist Richard Page bei anderen Größen der Branche aus. So ist seine Stimme auf Werken von Survivor, Toto und REO Speedwagon zu hören. Bei Toto hätte er nach dem Rausschmiss von deren Vokalist Bobby Kimball 1984 sogar den Slot am Front-Mikrofon übernehmen können, doch er will es aus eigener Kraft schaffen.

Ein Jahr später ist es so weit. Mit ihrem zweiten Album WELCOME TO THE REAL WORLD und den Nummer-1-Singles „Broken Wings“ und „Kyrie“ spielen sich Mr. Mister in die A-Liga der Mainstream-Rocker – und das mit einem ganz eigenen Sound. Im Gegensatz zu den anderen Nummern in dieser Liste verzichten die Gitarren in ihren populärsten Songs auf klassische Rockriffs und Soloeinlagen, sondern fügen sich als Textur in die Musik ein. Man könnte sie daher durchaus als AOR-Band der zweiten Generation bezeichnen.

Aber auch für Mr. Mister gilt, was Survivor-Gitarrist Frankie Sullivan einst über die Hochphase des Stils sagte: „Von 1983 bis 1988 war es eine echte Freude, Radio zu hören.“ Auch wenn er da ein wenig irrt, denn die große Zeit des Melodic Rock startete schon früher. Seine Hits indes halten sich bis heute. Sie sind der Soundtrack einer ganzen Generation.

Mehr Melodic Rock Hits findet ihr auch in unserer CLASSIC ROCK PLAYLIST: