Sep
21
2019

Bruce Springsteen: 7 Stories zum 70sten

Bruce Springsteen 70

Man kennt und liebt ihn für ausufernde Konzerte und Welthits wie „Born To Run“, „Born In The U.S.A.“ oder „Streets Of Philadelphia“. Am 23. September feiert Bruce Springsteen seinen 70. Geburtstag. Zum Jubiläum schauen wir auf sieben Momente und Facetten, die ihn und seine Musik prägen und geprägt haben.

Text: Chris Hauke

Coversongs Bruce, der Fan

Noch heute spielt Springsteen bei seinen Konzerten regelmäßig alte Rock-, Folk- oder Soulnummern. Der erste Song, den er auf der Gitarre beherrscht, ist „Twist and Shout“, das 1963 durch die Beatles berühmt wurde. Mit diesem Titel gibt er Mitte der 1960er-Jahre auch sein Debüt als Sänger. Doch vorerst bleiben die sechs Saiten sein bevorzugtes Metier. Das erste Solo, das er sich drauf schafft, ist das von „It’s All Over Now“ von den Rolling Stones – dazu träumt Bruce davon, dass die Stones bei ihm anrufen, weil sie einen Ersatz für ihren Frontmann Mick Jagger suchen. Bald darauf spielt er mit seiner ersten richtigen Band Castiles an allen möglichen Orten an der Jersey Shore.

Als er selber längst Superstar ist, trifft er viele seiner einstigen Helden und musiziert mit ihnen – und fragt sich dabei, was er in ihrer Gegenwart eigentlich zu suchen hat. Eines Tages bekommt er tatsächlich einen Anruf von den Stones. Mick Jagger sucht einen Duettpartner für „Tumbling Dice“ beim Stones-Auftritt in Newark, New Jersey. Springsteen ist von der Probe mit Mick, Keith & Co. so geflasht, dass er sofort seinen langjährigen Freund und Gitarristen Steven Van Zandt anrufen muss. In seiner Autobiografie „Born To Run“ beschreibt er den Abend als „mystischen Kick“ und sein „kleines Stück vom Rock’n’Roll-Himmel“. Zu diesem Zeitpunkt ist Bruce zwar bereits 63 Jahre alt, fühlt sich aber wie der träumende Teenager von damals.

Bruce Springsteen

Springsteen als Gitarrenheld

In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre verdrängen hart rockende Psychedelic-Blues-Trios wie Cream oder die Jimi Hendrix Experience die Beatbands. Auch Springsteen lässt sich mitreißen. 1968 folgt er mit seiner Kapelle Earth dem Trend zu ausufernden Gitarrensoli. „Ich spielte wie ein Dämon, nicht von dieser Welt. Meinen Lebensunterhalt verdiente ich als einer der wenigen Gitarristen aus der Gegend, die halbwegs wie Clapton und Hendrix spielen konnten.“ In eine ähnliche Kerbe schlägt seine nächste Combo Steel Mill, aus der schließlich die E Street Band hervorgehen soll.

Das Ende der Band kommt, als sich Springsteen musikalisch umorientiert. Er entdeckt Van Morrison und Joe Cocker für sich und verabschiedet sich von der Gitarren-Pyrotechnik. Sein neues Ziel: Singer-Songwriter mit einer fetten Prise Rhythm & Blues. Die Folge: Er verliert fast seine komplette Fanbasis. In ihren Hochzeiten haben Steel Mill vor bis zu 3.000 Fans gespielt – und das ohne Plattenveröffentlichung. Die nächsten Jahre werden deutlich magerer.

Die erste Autofahrt

Autos und Highways spielen in Springsteens Texten eine zentrale Rolle. Sein eigener Einstand in Sachen „Racing In The Street“ ist weniger verbreitet, dafür aber umso spektakulärer: Ende 1970 bekommen Steel Mill das Angebot, einen Silvester-Gig in Big Sur, Kalifornien, zu spielen. Ambitioniert und ebenso naiv plant das Kollektiv drei Tage für die 5.000 Kilometer lange Reise von der Ost- an die Westküste ein. Außer zum Tanken bleibt da nicht viel Zeit für Pausen, die Räder müssen sich ständig drehen, damit der Zeitplan eingehalten werden kann.

Bis Nashville läuft alles nach Plan, dann verlieren sich die beiden Autos der Band. Das Problem: Alle Ersatzfahrer sitzen im anderen Wagen, Springsteen teilt sich das Gefährt mit dem damaligen Manager „Tinker“ West – und hat weder einen Führerschein noch Fahrpraxis. Irgendwann muss er dennoch ans Steuer, bekommt den Wagen aber nicht unter Kontrolle und löst bei sich und seinem Mitfahrer pure Panik aus. Die Lösung des Dilemmas: West fährt an, Springsteen hält das Auto auf dem Highway auf Kurs. In seinen Erinnerungen formuliert er es so: „Es war keine besonders geruhsame Fahrt. Meine Fahrweise war grottenschlecht. Wir konnten von Glück sagen, dass ich uns nicht in den Tod steuerte.“ Aber: „Als wir Kalifornien irgendwann erreichten, konnte ich Auto fahren.“

Wie Berlin Bruce politisierte

Dass Bruce Springsteen und die E Street Band am 19. Juli 1988 in Ost-Berlin vor mehr Personen als je zuvor oder danach gespielt haben, wissen viele Fans. 160.000 Menschen kommen an diesem Tag an die Radrennbahn in Weißensee, das DDR-Fernsehen überträgt live. Auch wenn es zu diesem Moment noch keiner ahnen kann, hat Springsteen rückblickend das Gefühl, dass Ostdeutschland damals „überreif für eine Veränderung“ ist.

Bruce The River

Mindestens ebenso prägend ist sein erster Besuch der Stadt am 8. April 1981 im Rahmen der „The River“-Tour. Gemeinsam mit Steven Van Zandt passiert er den Checkpoint Charlie und erlebt die DDR aus nächster Nähe. Die beiden Männer aus New Jersey sind von der Mauer und der Atmosphäre schockiert: „Man konnte die Knute spüren, den lähmenden Stillstand und die ganz reale Erfahrung von Unterdrückung“, formuliert es Springsteen später. Vor allem Van Zandt ändert in diesem Moment seine Grundeinstellung: Pochte er bislang auf eine klare Trennung von Rock’n’Roll und Politik, entwickelt er sich ab jetzt zum Aktivisten und textet entsprechend, etwa auf seinen Früh-Achtziger Solowerken mit den „Disciples Of Soul“ oder seinem Projekt „Artists United Against Apartheid“, das 1985 mit dem Song „Sun City“ weltweit für Aufmerksamkeit sorgt. Auch Springsteen sieht die Welt von nun an mit anderen Augen.

Im Dienst der guten Sache

Ob Zufall oder nicht – nach Abschluss der „The River“-Tour wird Springsteen daheim erstmals bewusst mit dem amerikanischen Trauma konfrontiert: Vietnam. Er stößt auf den Roman „Geboren am 4. Juli“ des im Rollstuhl sitzenden Veteranen Ron Kovic und ist von dessen Schilderungen schwer bewegt. Kurz nach der Lektüre kommt dann tatsächlich der Zufall ins Spiel – oder ist es Vorsehung? Er lernt Kovic persönlich kennen. Der führt ihn ins Veteran Center nach Venice, wo Springsteen den Schilderungen der Ex-Soldaten bedrückt zuhört. Auch er hat Freunde und Weggefährten in diesem Krieg verloren.

Bruce Springsteen - Born in the U.S.A. CD Cover Artwork

Um dem lange totgeschwiegenen Thema mehr Aufmerksamkeit zu verleihen, spielt er am 20. August 1981 sein erstes Benefizkonzert für die Vietnam Veterans of America. Aus diesen Erfahrungen und Beschreibungen wird Bruce nicht sehr viel später die Inspiration zum Text von „Born In The U.S.A.“ ziehen. Es ändert auch sein generelles Credo als Künstler. Ab diesem Moment soll sein Beitrag darin bestehen, „die Kluft zwischen dem American Dream und der amerikanischen Realität zu vermessen.“ Bis heute engagiert sich Springsteen für zahlreiche Organisationen und gute Zwecke – von der „Light of Day Foundation“ bis zum „Stand Up For Heroes“-Benefit.

Aufstieg zum Superstar

Juni 1984, Civic Center, St. Paul, Minnesota. Es ist der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Hier und heute dreht Bruce Springsteen sein erstes offizielles Musikvideo, am Abend wird die E Street in neuer Besetzung in die „Born In The U.S.A.“-Tour starten. Doch vorher steht „Dancing In The Dark“ auf der Agenda: Der wohl kommerziellste Song aus Springsteens Feder wird sich 21 Wochen in den US-Charts halten, nur Prince’ „When Doves Cry“ hält ihn davon ab, Platz 1 zu erklimmen.

Die Story zum Video – die gecastete Courteney Cox als vermeintlicher Fan, Film-Regisseur Brian De Palma als künstlerischer Leiter – sind bekannt, doch ursprünglich war ein ganz anderes Konzept vorgesehen. Geplant war eine Schwarzweiß-Aufnahme in der Art von „Every Breath You Take“ von The Police, doch Bruce und der damalige Regisseur konnten sich nicht auf die Beleuchtung einigen.

Springsteen Tanzeinlage im finalen Produkt zeigt einen Superstar in der Mache, der sich allerdings später von seinen Kindern anhören muss, das er dabei „fürchterlich albern aussieht“. Auch das Konzert selber markiert einen Wendepunkt für Springsteen und die E Street Band – erstmals ist Patti Scialfa als Background-Sängerin dabei, an der Gitarre debütiert Nils Lofgren anstelle des zwischenzeitlich abgewanderten Steven Van Zandt. Auch wenn Springsteen das damalige Outfit heute auf dem schmalen Grat zwischen Kult und Karikatur ansiedelt, wird es diese Formation und Tour sein, die ihn endgültig in die Sphären der Musikgiganten aufrücken lässt.

Kampf mit dem Trauma mit der wiedervereinten E Street Band

Den 11. September 2001 erlebt Bruce Springsteen wie die meisten seiner Landsleute: entsetzt und fassungslos vor dem Fernseher. Um das Erlebte zu verarbeiten, fährt er schließlich auf die Rumson-Sea Bright Bridge in New Jersey. Von dort kann man normalerweise die Twin Towers des World Trade Centers sehen kann, doch über dem 30 Meilen entfernten Süd-Manhattan liegen an diesem Tag gewaltige Rauchschwaden. Kurz vor dem Rückweg ruft ihm ein Mann aus dem Auto die bekannten und folgenschweren Worte „Bruce, wir brauchen dich jetzt!“ zu. Nur: Er weiß zunächst nicht, wie er mit den Ereignissen umgehen soll.

Das Songwriting wird zur Therapie, am Ende entsteht daraus Springsteens erste Platte mit der E Street seit BORN IN THE U.S.A.. Im Titelsong „The Rising“ verarbeitet Bruce ein Bild, das sich in ihm eingebrannt hat: Hilfskräfte, die entgegen jeder Vernunft und entgegen dem Strom der Flüchtenden die Türme emporsteigen. Daraus entsteht für ihn ein fast religiöses Symbol vom Aufstieg aus dem Irdischen ins Jenseitige. Mit „Worlds Apart“ nimmt er zudem textlich und musikalisch die östliche Perspektive auf die Anschläge ein – und schaut damit von außen auf die Geschehnisse. Am Ende konsultiert er: „Der Mann im Auto hat mir einen gewaltigen Auftrag erteilt. Aber ich hatte verstanden, was er damit gemeint hatte. Auch ich brauchte etwas, brauchte jemanden. [Dazu] gebrauchte ich die einzige Sprache, die ich je gekannt habe. Mehr konnte ich nicht tun.“

Bruce Springsteen: 7 Stories zum 70sten

Seit THE RISING sind acht weitere Alben und mehrere Live-Dokumentationen erschienen, zuletzt SPRINGSTEEN ON BROADWAY von seinem mehr als einjährigen Solo-Gastspiel am Broadway in New York sowie WESTERN STARS (Film zum Album kommt im Oktober!) und der Soundtrack zum Film BLINDED BY THE LIGHT, beide aus diesem Jahr.

Aber fertig ist Springsteen noch lange nicht. Im Mai teilte er der italienischen Zeitung „La Repubblica“ mit, dass es 2020 sowohl ein neues Album als auch eine Tour mit der E Street Band geben wird. Vielleicht verbringt der Jubilar seinen runden Geburtstag ja im Studio. Zuzutrauen wäre es dem Mann, der im Lauf seiner langen Karriere so viele Menschen weltweit in seinen Bann gezogen hat.