„FROM ELVIS IN NASHVILLE“: Zum 50-jährigen Jubiläum der Aufnahmen aus dem legendären Studio B gibt es jetzt ein exklusives 4-CD-SET & DIGITAL-ALBUM mit vielen Song-Highlights des King of Rock’n’Roll!
Text: Alex Gernandt
Nashville. Hauptstadt des US-Bundesstaates Tennessee. Seit weit über einem halben Jahrhundert gehört der Ort am Cumberland River zu den wichtigsten Musikmetropolen der USA. Bekannt ist die “Music City“ in erster Linie als Hochburg des Country & Western-Sounds: In Nashville ist die Grand Ole Opry beheimatet, die älteste noch existierende amerikanische Radio- und TV-Musikshow, deren Konzerte bis 1974 aus dem Ryman Auditorium übertragen wurden, hier steht die Country Music Hall Of Fame sowie das legendäre RCA Studio B, in dem Größen wie Willie Nelson, Waylon Jennings, die Everly Brothers, Dolly Parton, Roy Orbison, Gladys Knight, Connie Francis – und Elvis Presley viele ihrer Platten aufnahmen. Seit 2012 ist das Studio gelistet im “National Register of Historic Places“ der USA.
Das Jahr 1970. Zeitenwende der Sechziger- in die Siebzigerjahre. Pophistorisch die Zeit der Beatles, sie sich im April auflösen, Hendrix und Janis Joplin, die beide in jenem Jahr von uns gehen, der Flower-Power-Bewegung, den Nachwehen von Woodstock, der Rock-Revolution und des politischen Aufbruchs. Es ist auch die Zeit von Elvis. Wieder! Nach einer tiefen musikalischen Krise ab Mitte der Sechziger, als neue Künstler wie die Beatles, Bob Dylan oder Simon & Garfunkel den Markt beherrschen und sich Vollblutmusiker Elvis auf Drängen von Colonel Tom Parker (1909 – 1997) auf das Drehen von eher mittelmäßigen, aber finanziell lukrativen Kinofilmen (“Kurven-Lilly / Girl Happy“, “Verschollen im Harem / Harum Scarum“) konzentriert hatte, ist er nach dem spektakulären Comeback-Special 1968 als Musiker endlich wieder on top – und bereit für den Aufbruch in ein neues Jahrzehnt, die Seventies…
Im Sommer vor 50 Jahren also reist Presley, damals 35, von Graceland, Memphis, das im äußersten Südwesten von Tennessee liegt, knapp 350 km in die “Music City“ Nashville, um hier in eben jenem Studio B, dem “Home of 1.000 Hits“ neue Songs aufzunehmen, die jetzt auf dem 4-CD-Set FROM ELVIS IN NASHVILLE zuhören sind, erstmals purster Form, ohne Overdubs oder bombastische Orchestrationen wie man die Endversionen von Elvis-Alben wie „THAT’S THE WAY IT IS“ kennt. Elvis verbindet eine lange Historie mit dem Studio, in dem er seit 1956 immer wieder arbeitet und insgesamt rund 200 Tracks aufnimmt, darunter ikonische Klassiker wie “Are You Lonesome Tonight“, “It’s Now Or Never“ oder den Gospel “How Great Thou Art“, für den er 1967 einen Grammy gewinnt.
ELVIS UND DIE “MUSIC CITY“
Nashville liegt Elvis schon immer am Herzen. Als Junge wuchs er in der Kleinstadt Tupelo, Mississippi mit dem Sound aus der “Grand Ole Opry“ auf, mit Sängern wie Ernest Tubb, Roy Acuff und Red Foley. Seinen allerersten öffentlichen Auftritt bestritt Jung-Elvis 1945 im Alter von 10 Jahren bei einem Gesangswettbewerb auf der Mississippi-Alabama Fair and Dairy Show. Dabei singt er einen Red-Foley-Song: “Old Shep“, jenes herzzerreissende Stück über einen Jungen und dessen geliebten Schäferhund, der im Sterben liegt. Elvis wird Fünfter.
In seiner beispiellosen Karriere spielt Nashville eine gewichtige Rolle. Während Memphis die Stadt ist, in der Musik von der Straße kommt, ist Nashville der Ort, an dem das große Musikbusiness sitzt. Im Oktober 1954 schafft es Elvis‘ damaliger Plattenboss Sam Phillips tatsächlich, seinen fast noch unbekannten Schützling zusammen mit Gitarrist Scotty Moore und Bassist Bill Black in der ehrwürdigen Grand Ole Opry, den “heiligen Hallen des Country“, in Nashville auftreten zu lassen. Elvis performt “Blue Moon Of Kentucky“, kommt beim Country-Publikum aber nicht sonderlich gut an. Jim Denny, der Veranstalter der Show, soll Elvis nach seinem Auftritt nahegelegt haben, künftig doch lieber wieder als LKW-Fahrer zu jobben und lädt ihn nie wieder in die Grand Ole Opry ein. Elvis, der in seiner Karriere über 1.600 Konzerte gibt, tritt nur noch ein einziges Mal live in Nashville auf: am 1. Juli 1973 im Municipal Auditorium.
Im Herbst 1955 übernimmt Colonel Tom Parker das Presley-Management von Bob Neal und kommt Elvis‘ Wunsch nach, für ein großes Musiklabel arbeiten zu wollen. Am 10. November 1955 besucht er mit Elvis eine DJ-Versammlung in Nashville. Elvis tritt dort nicht auf, aber man trifft wichtige Manager des Major-Labels RCA und stellt ihnen Elvis vor, der zu jener Zeit im Süden der USA als Sänger schon für ordentlich Furore gesorgt hatte. Dieses Meeting wird die Einleitung des Deals von Sun Records mit RCA, der nur elf Tage später in Memphis vollzogen wird, in Anwesenheit von Elvis und seinen Eltern Gladys und Vernon. Es ist Parkers Werk. Ab dem 1. Januar 1956 ist Elvis offiziell ein RCA Recording Artist, mit dem größten und teuersten Vertrag, der bislang in der gesamten Musikbranche ausgehandelt worden war. Mit der “Ablösesumme“ für Elvis kann Sam Phillips, Gründer und Inhaber des kleinen Sun Records Labels, seine verschuldete Firma in der Union Avenue in Memphis, in der für Elvis alles losging, retten. Er ist nun zwar seinen hoffnungsvollsten Künstler los, aber eben auch seine finanziellen Sorgen. 1956 kommt es zu den ersten bedeutenden RCA-Recordings wie “Heartbreak Hotel“, “Hound Dog“ und “Love Me Tender“ – in jenem Studio B in Nashville! Kurz bevor Elvis als GI der US Army nach Deutschland entsendet wird, nimmt er dort 1958 noch u.a. “A Fool Such As I“ auf – und als er aus der Army entlassen wird, führt ihn im Frühjahr 1960 sein erster Weg wieder ins Studio B, um das Comeback-Album „ELVIS IS BACK“ einzuspielen. Jetzt, zehn Jahre später, hat es Elvis wieder nach Nashville, in das Studio an der Music Row gezogen. Und es soll ein wahrer Aufnahme-Marathon folgen, an nur fünf Tagen werden 35 Songs produziert… „FROM ELVIS IN NASHVILLE“!
DER MUSIK-MARATHON BEGINNT!
4. Juni 1970. Um 18 Uhr beginnen die Aufnahmen, die sich wie an den folgenden Tagen bis spät in die Nacht ziehen. Elvis zeigt sich in bester Spiellaune. Er will im Studio seinen Spaß haben, sich nicht an strikte Regeln halten, immer locker bleiben, seinem musikalischen Instinkt folgen. Zum Aufwärmen wird zunächst der Klassiker “Mystery Train / Tiger Man“ gejammt, der auch auf FROM ELVIS IN NASHVILLE als Opener zu hören ist. Elvis hat die besten, versiertesten Musiker am Start, die sogenannten “Nashville Cats“, darunter Bassist Norbert Putnam (spielte mit u.a. Roy Orbison, Linda Ronstadt, J.J. Cale), Multi-Instrumentalist Charlie McCoy (zu hören auf Bob Dylans „Highway 61 Revisited“, „Blonde On Blonde“, „John Wesley Harding“ und „Nashville Skyline“, sowie bei Paul Simon, Bob Seger, Willie Nelson) und Pianist David Briggs (Dean Martin, Johnny Cash, B.B. King, Dolly Parton, George Harrison, Kris Kristofferson). An der Gitarre: Sechs-Saiten-Virtuoso James Burton, als einziges Mitglied von Elvis‘ aktueller Liveband.
Die Aufnahmen finden unter Leitung des musikalischen Direktors Felton Jarvis statt, der von 1966 bis 1977 alle Platten des King produziert und eigens seinen Vertrag bei RCA kündigt, um fortan exklusiv mit Elvis zusammenzuarbeiten. Er ist verantwortlich dafür, dass Elvis jetzt nicht in Memphis, sondern in Nashville im Studio steht.
Der King sprüht vor Energie und Power, was man den Recordings deutlich anmerkt. Kein Wunder: Elvis ist beflügelt durch die Erfolge seines sensationellen NBC Comeback-Specials 1968, großen Chart-Hits wie “In The Ghetto“, “Suspicious Minds“, “Don’t Cry Daddy“ oder “The Wonder Of You“ und umjubelten Auftritten in Las Vegas und im gigantischen, sechsfach ausverkauften Houston Astrodome. Die letzten Aufnahmesessions hatten 1969 in Chip Momans American Sound Studio in Memphis stattgefunden. Es waren die ersten Songs in Jahren, die nicht für einen Soundtrack bestimmt waren, darunter Perlen wie “Kentucky Rain“, “Long Black Limousine“, “Only The Strong Survive“, “In The Ghetto“ oder “Suspicious Minds“. 1969 waren sie auf den hochgelobten Alben „FROM ELVIS IN MEMPHIS“ und „FROM MEMPHIS TO VEGAS/ FROM VEGAS TO MEMPHIS“ erschienen.
Elvis hat sich frei gesungen, wieder an Selbstbewusstsein gewonnen und für Nashville jede Menge Songs ausgewählt, die jetzt gemeinsam eingespielt werden. Das Songmaterial ist vielfältig, umfasst verschiedenste Musikrichtungen, für die Elvis seit jeher bekannt ist und neben überwiegend starken Songs auch einige wenige nicht ganz so spannende Tracks enthält wie “This Is Our Dance“ oder “Cindy Cindy“ – aber Elvis voluminöse Stimme, die Emotionen auslöst, ist zu jenem Zeitpunkt on top! Zu den Highlights zählen eine großartige Version von “Bridge Over Troubled Water“ von Simon & Garfunkel, das dann wie “I’ve Lost You“, “Patch It Up“, “You Don’t Have To Say You Love Me“, “Mary In The Morning“ oder “Stranger In The Crowd“ auf dem Album „THAT’S THE WAY IT IS“ landet, Willie Nelsons “Funny How Time Slips Away“, dazu “Where Did They Go, Lord“, “Snowbird“, “Tomorrow Never Comes“ und eine wilde Version des Rock’n’Roll-Klassikers “Whole Lotta Shakin‘ Goin‘ On“ von Jerry Lee Lewis, das Elvis schon in frühen Jahren singt. Diese Nummer wird nachträglich, in einer Session am 22. September 1970 aufgenommen. Außerdem dabei: die wunderbare Ballade “The Sound Of Your Cry“, die auf keinem Studioalbum enthalten ist, sondern B-Seite der Single “It’s Only Love“ (Original von B.J. Thomas) wird. Im Uptempo-Countrystück “A Hundred Years From Now“ improvisiert Elvis und singt im Spaß: “That’s all in the past/ you can kiss my ass…“ statt “I knew it wouldn’t last“… und fügt hinzu: “There goes my fuckin‘ career right down the drain…“ – etwa: so, jetzt ist’s aus mit meiner Karriere. Diese Version ist nur auf dem neuen Boxset zu hören. Von der Cowboy Joe Babcock-Nummer “I Washed My Hands In Muddy Water“ gibt’s eine sechsminütige Jam-Version, die zeigt, in welcher Topform sich Elvis und seine Band zu jener Zeit befinden und die belegt, dass die Chemie unter den Musikern einfach stimmt. Was die Aufnahmen auf FROM ELVIS IN NASHVILLE so besonders macht, ist ihre ungekünstelte Reinheit, die Toningenieur und Grammy-Winner Matt Ross-Spang perfekt remixte, ohne jedwelche Overdubs, die damals im Nachhinein zugefügt wurden und die Elvis nicht sonderlich mochte. Diese Versionen bringen Presleys sagenhafte Power als Performer ans Licht, seine Vitalität, seinen Spirit und auch seinen einmaligen Humor, den er bis zu seinem tragischen Tod nicht verliert. Am Ende der extrem produktiven Sessions hat man Material für drei Alben zusammen: Die Songs aus Studio B erscheinen verteilt auf „THAT’S THE WAY IT IS“ (November 1970), „ELVIS COUNTRY (I’M 10.000 YEARS OLD)“ (Januar 1971) sowie „LOVE LETTERS FROM ELVIS“ (Juni 1971).
ELVIS – EINER WIE KEINER!
Besonders „THAT’S THE WAY IT IS“ (mit der bewegenden Coverversion von “Bridge Over Troubled Water“) und das Album „ELVIS COUNTRY“ kommen bei Fans und Kritikern sehr gut an. “Country music war immer schon ein großer Einfluss auf meine Musik“, sagt Elvis damals bei einer Pressekonferenz im Februar 1970 im Houston Astrodome. “Country und Gospel und Rhythm & Blues, all das kombiniert, das ist es! Als reinen Country-Sänger würde ich mich nicht bezeichnen, eben weil es bei mir auch die anderen Musikrichtungen gibt. Ich mag auch den Blues…“ Eingefleischte Elvis-Fans werden sich bei diesen Worten unweigerlich an das denkwürdige Gespräch erinnern, das der junge Elvis im Juli 1953 beim ersten Besuch in den Sun Studios mit Sam Phillips‘ Assistentin Marion Keisker hatte. Sie fragte ihn: “What kind of singer are you?“ Elvis antwortete: “I sing all kinds!“ Dann: “Who do you sound like?“ – Und Elvis: “I DON’T SOUND LIKE NOBODY…“ Das trifft es auf den Punkt: Elvis ist einer wie keiner!
“Country Music war immer schon ein großer Einfluss auf meine Musik“ – Elvis Presley
Im September 1970, nach seinem nunmehr dritten erfolgreichen Engagement im Las Vegas International Hotel und knapp drei Monate nach den Aufnahmen in Nashville, startet Elvis seine erste große US-Tournee seit 1957 (!) in Phoenix, Arizona. Es folgen umjubelte Konzerte in St. Louis, Detroit, Miami, Tampa und Mobile, Alabama. Außer Auftritten 1961 auf Hawaii (Bloch Arena), dem 1968 Comeback-TV-Special und einigen Las-Vegas-Gigs 1969, hatte Elvis in den Sechzigern nicht live performt und das Feld anderen neuen Künstlern überlassen, man denke an die Beatles, die Stones, die Doors, Jimi Hendrix oder The Who. Doch jetzt hatte sich der King als Musiker und Live-Entertainer den Thron zurückgeholt. Elvis war auf der Bühne einfach die Attraktion schlechthin und überall “Talk of the Town“, sobald sich ein Konzerttermin näherte…
Auf dem 4-CD-Set FROM ELVIS IN NASHVILLE spürt man die unbändige Energie und große Klasse der Songs, von denen es einige ins Live-Repertoire des King schaffen. Ja, es wurde Musikgeschichte geschrieben in Studio B in Nashville, und in jenem Sommer 1970 auch von Elvis und seinen Mitstreitern – verewigt nun auf diesem liebevoll ausgestatteten Boxset. Nur sieben Jahre nach diesen Nashville-Aufnahmen, am 16. August 1977, verstirbt Elvis Presley, der erfolgreichste Sänger der Musikgeschichte, mit nur 42 Jahren in Graceland an Herzversagen. Am folgenden Tag schließt Studio B seine Türen. Für immer.