Kaum eine Band hat mehr Popklassiker geliefert, und kaum eine hat dem eigenen Ruhm dabei so sehr im Weg gestanden wie die unheilbar querköpfigen Kinks. Ihre unsterblichen Songs sind nun nachzuhören auf der Digital-Compilation „Classics – The Best Of The Kinks“ – Grund genug, an ihre charmantesten Fehltritte zu erinnern.
Text: Ernst Hofacker
Die Band hatte einen Webfehler. Wo andere Unverträglichkeiten in der Gruppenchemie und Sollbruchstellen im künstlerischen Konzept zum Zweck der Marktgängigkeit irgendwie ausbalancieren konnten, schienen die Kinks wie der sprichwörtliche heilige Narr immer wieder alles zu vermasseln. Entweder stolperten sie über die eigenen Unzulänglichkeiten, trafen sie die exakt falsche Karriere-Entscheidung oder hatten sie schlicht und einfach Pech.
Auftrittsverbot in Amerika
Ein paar Beispiele: Kaum hatte es die Band um das Bruderpaar Ray und Dave Davies 1965 mit ihrem ersten Monsterhit „You Really Got Me“ zum gewichtigen Zugpferd der Britischen Beat-Invasion in den Staaten gebracht, zettelte sie auf ihrer ersten US-Tournee einen heftigen Streit mit der dortigen Musikergewerkschaft an. Folge: Man brummte den Kinks ein dreijähriges Auftrittsverbot in den USA auf. Ein fatales Handicap, wenn man bedenkt, dass viele britische Kollegen (Rolling Stones, Who etc.) just in jenen Jahren zwischen 1965 und 1969 in den USA den Grundstein für ihren Welterfolg legten.
Dennoch hatten die Kinks daheim in England weiterhin Hits in Serie, „A Well Respected Man“, „Dedicated Follower Of Fashion“, „Dead End Street“, „Sunny Afternoon“ und „Waterloo Sunset“ sind nur die bekanntesten. Der entscheidende Schritt weg von der Singles- hin zur Albumband aber wollte ihnen nicht gelingen. Zwar brachten sie genialische Alben heraus, darunter „The Kinks Are The Village Green Preservation Society“ 1968, „Arthur (Or The Decline And Fall Of The British Empire)“ 1969 und „Lola Versus Powerman And The Moneygoround, Part One“ 1970, sie alle aber floppten, weil weder das Kinks-Management noch die damals zuständige Plattenfirma Pye in der Lage waren, die Werke angemessen zu vermarkten. Ergebnis: Ende der 1960er Jahre hatte fast die gesamte Konkurrenz bereits kommerziell höchst erfolgreiche Langspielplatten mit Klassikerstatus vorzuweisen – „Sgt. Pepper’s“ (Beatles), „Beggars Banquet“ (Stones), „Tommy“ (Who) usw. – die Kinks indes standen mit leeren Händen da.
Boxende Brüder
Als die Kinks in den frühen 1970er Jahren dann endlich in Ruhe arbeiten und auch wieder in den USA auftreten konnten, verstieg sich Mastermind Ray Davies in eine Serie sperriger und praktisch unverkäuflicher Konzeptalben, während alle anderen mit hittauglichem Mainstream-Entertainment an den explodierenden Umsätzen der Popmusik partizipierten. Zwischendurch verprügelten sich Ray und Dave auch mal gerne gegenseitig, was dem Betriebsfrieden obendrein wenig förderlich war.
Zum Ende des Jahrzehnts hatte es die Band endlich geschafft, mit massenkompatiblem Arena-Rock wieder ein Wörtchen mitzureden und zu Beginn des MTV-Zeitalters sogar frische Hits zu landen („Come Dancing“). In diesem Moment aber, als viele der alten Veteranen wieder Morgenluft schnupperten, verpassten die Kinks erst die Teilnahme am legendären „Live AID“-Spektakel, das sich für fast alle Beteiligten als langfristiger Umsatzmultiplikator erwies, und implodierten dann, als Gründungsmitglied Mick Avory (dr) die Band verließ. Danach waren die Kinks, wie Ray Davies einmal einräumte, nicht mehr dieselben. 1996 lösten sie sich endgültig auf – die anderen tourten derweil längst durch die Stadien der Welt.
Erscheinung bei Olympia 2012
Selbst als Ray Davies im August 2012 bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele in London vor einem Milliarden-TV-Publikum sein „Waterloo Sunset“ sang, stand da auf der riesigen Bühne nicht der große Rockstar, den es wiederzuentdecken galt, sondern ein etwas zerzaust wirkender, irgendwie aus der Zeit gefallener alter Mann, der so gar nicht zum glamourösen Umfeld dieser Megashow passen wollte.
Dennoch gilt, heute vielleicht mehr denn je: Kaum eine der ganz großen Bands aus den Gründerjahren der Rockmusik hat ein reicheres musikalisches Erbe hinterlassen als diese von Pleiten, Pech und Pannen gebeutelte Bruderschaft aus dem nördlichen Londoner Arbeiterstadtteil Muswell Hill. God save the Kinks!
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Hörtipp: „Classics – The Best Of The Kinks“
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