Für den 1993 geschassten Red Hot Chili Peppers-Gitarristen Jesse Tobias ist Anthony Kiedis, milde ausgedrückt, ein Angeber. Der KiWi-Verlag lobpreist dagegen einen sympathischen und emotional offenen Künstler. Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen. Dennoch legt der RHCP-Frontmann, der für Hits wie „Under The Bridge“ und „Californication“ steht, mit Hilfe des Co-Autors Larry Ratso Sloman eine detaillierte Lebensbeichte ohne Tabus und voller durchgeknallter Anekdoten vor (der Auftritt als Spice Girls vor zehnjährigen Zuschauern ist noch die jugendfreiste!). Tief gehende psychologische Erkenntnisse über Kiedis, der sich selbst als gesellschaftlich nicht kompatibel bezeichnet, oder eine Analyse der Ereignisse um die Red Hot Chili Peppers darf man (zumindest in der ersten Hälfte des Buches) nicht erwarten. Anthony berichtet dafür handfest von einem Leben auf der Überholspur, das abenteuerlich früh beginnt. Seine Kindheits- und Jugenderfahrungen wären die perfekte Blaupause für Filme ? la „Spun“ oder „Human Traffic“. Bestimmen das Leben des Frauentyps doch von Beginn an Sex, Crime, Drugs and Punk’n’Roll. Die Schuld daran trägt der abgöttisch geliebte Vater John, ein Dealer, Partylöwe und Schauspieler im L.A. der Siebziger, der Anthony mit zwölf den ersten Joint dreht und ihm seine achtzehnjährige Freundin für den ersten Sex leiht. Heute führt der Vater übrigens den offiziellen Fanclub der Chili Peppers. Zum Glück schildert Kiedis die Exegese des Peppers-Sounds und das Leben der Band unterm Strich aber gehaltvoller, als er die Abhandlung seiner ungezählten sexuellen Erfahrungen (u.a. mit Nina Hagen oder Sofia Copolla) vertieft. Die Rückkehr John Frusciantes 1997 zur Band und der darauf folgende Energieschub zählt beispielsweise zu den schönsten Buch-Passagen Auch berichtet der Sänger, wie er den Langzeitfreund, Seelenverwandten und Bassisten Flea auf der High School kennen lernt („Wir benahmen uns wie die kleinen Arschlöcher, die wir waren“), erzählt von der Idee, seine Schamhaare als Merchandise-Artikel während der „Uplift“-Tour 1987/88 zu verkaufen („Anthonys Schamhaare, nur 25 Dollar“) und beschreibt, wie die Band in Finnland während eines Ramones-Gigs nackt über die Bühne hüpft. Der für die Peppers traumatische Drogentod von Gitarrist Hillel Slovak nimmt viel Raum ein, genauso wie der Einstieg John Frusciantes und Chad Smiths, mit denen die fantastischen Vier komplett sind. Doch gerade Anthony und John kommen trotz oder wegen des immensen Erfolgs mit „Blood, Sugar, Sex, Magik“ 1991 nie auf einen Nenner. Die Spannungen gipfeln 1992 in Johns Ausstieg während der Welttournee. Die Suche nach einem neuen Gitarristen im Geiste und Johns für die Band an Magie kaum zu überbietende Rückkehr 1997 gehören zu den interessantesten Teilen des Buchs. Kiedis zeichnet das Leben on the road als eine endlose Aneinanderreihung extremer Erfahrungen, Ups and Downs (MTV Awards und Entzugsklinik), Auftritten und an die Substanz gehenden Parties. Ein Leben, das Narben hinterlässt und heute bei Meditation und Ozoninjektionen angelangt ist. Den Buchtitel von „Give It Away“ in „Scar Tissue“ umzubenennen, war wohl doch keine so schlechte Idee. Manches in seiner Geschichte scheint fast zu cool um wahr zu sein. Unterm Strich kommt Kiedis dennoch als authentischer Typ rüber, denn er und seine Kollegen sind unbestritten Freaks und dazu in einem Metier tätig, in dem alles möglich ist („Flea und ich wurden Stars einer Klatschkolumne, nicht weil wir es versucht hätten, sondern weil wir so durchgeknallt und zugedröhnt waren“). Aber Anthony Kiedis geht sein Leben mit viel Energie, Optimismus und Naivität an und pendelt so zwischen Selbstzweifel und Größenwahn, ein extremer Typ eben. Dass er seine Vita überlebt hat – und das spricht wahrlich für ihn, zuweilen gibt er sich sogar selbstkritisch – dürfte er aber zu einem Großteil der Musik und seinen Partnern in crime zu verdanken haben. Genau dafür kann man die Peppers lieben.
Jun
9
2005