Vor fünf Jahren verließ Prince Rogers Nelson (1958 – 2016) die Bühne des Lebens tragisch und viel zu früh. Doch sein musikalisches Echo hallt bis heute nach und wird nicht verstummen. Zu bedeutend ist das Werk, das das Multitalent aus Minneapolis hinterlassen hat. Legendär die unglaubliche Kreativität und schier endlose Produktivität des Weltklasse-Musikers. Mit „WELCOME 2 AMERICA“ erscheint Ende Juli posthum ein Album, das Prince ab 2010 aufgenommen, aber nie veröffentlicht hatte. Es wird für Aufsehen sorgen.
Text: Alex Gernandt
Der Clip dauert gerade mal sechs Minuten – und entwickelte sich rasant zu einem der musikalischen Highlights auf YouTube. 15. März 2004. Aufnahmezeremonie der “Rock And Roll Hall Of Fame“ im Waldorf-Astoria Hotel, New York. Zu Ehren der verstorbenen Beatles-Legende George Harrison stehen Rockgrößen wie Tom Petty, Steve Winwood und Jeff Lynne von ELO auf der Bühne. Gemeinsam spielen sie die hochemotionale, von Harrison komponierte Ballade “While My Guitar Gently Weeps“. Auch mit Gitarren am Start: Georges Sohn Dhani Harrison – und Popgenie Prince! Plötzlich, bei Minute drei, passiert’s: Prince, der sich zunächst vornehm im Hintergrund gehalten hatte, tritt nach vorn und legt mit einem gut dreiminütigen Gitarrensolo los – so gekonnt virtuos, energiegeladen, elegant und gleichzeitig beseelt, dass sich beim bloßen Zusehen Schwindelgefühle, Rührung und schiere Bewunderung einstellen.
Seine Mitmusiker trauen ihren Augen (und Ohren) kaum; unbezahlbar auch der geradezu anhimmelnde Blick des jungen Dhani Harrison, der völlig zu Recht das Gefühl hat, hier einen Moment von pophistorischer Bedeutung zu erleben. “Prince‘ Gitarre weinte am lautesten“, titelt die New York Times tags drauf. Prince, der Gitarrenderwisch, zieht mit seiner atemberaubenden Performance alle in seinen Bann, bis heute auch an die 100 Millionen YouTube-Viewer. Bei seiner Aufnahme in die “Rock And Roll Hall Of Fame“ später an eben jenem denkwürdigen Abend im März 2004 wird Alicia Keys in ihrer Laudatio sagen: “Prince ist der einzige, den ich kenne, der eine Bühne in Flammen setzen kann.“ Der Geehrte selbst betont in seiner Dankesrede: “Freiheit war und ist mein höchstes Gut. Die Freiheit, selbst zu produzieren, die Freiheit, alle Instrumente zu spielen und die Freiheit, alles sagen zu können, was ich will. Meine Reise bis hierher war unglaublicher, als ich es mir je hätte vorstellen können. Danke.“
Was zeigt uns diese kurze Eingangs-Sequenz? Dass Vollblutmusiker Prince auch ein echter Guitarhero war, auch auf sechs Saiten genial! Dies scheint beim Blick auf seine unglaubliche Karriere meist etwas zu kurz zu kommen. Tatsache aber ist, dass Prince zu den besten Gitarreros der Welt zählte, in einem Atemzug zu nennen mit Könnern wie Eric Clapton, Jimmy Page, Jeff Beck oder Eddie Van Halen. Auf den Punkt bringt es Foo-Fighters-Fronter und Prince-Fan Dave Grohl: “Er war der beste Gitarrist, der beste Bassist, der beste Drummer, der beste Sänger, der beste Tänzer, einfach der Beste.“ Fakt ist, dass Prince auf alle Fälle mehr war als “nur“ ein exzellenter Saiten-Techniker oder Sänger – ein musikalischer Alleskönner: Multi-Instrumentalist, Songwriter, Texter, Produzent, Arrangeur, Bandleader, Performer, Tänzer, Styler, Vordenker, letztlich auch Visionär. All das.
Spürbar ist das auch auf “WELCOME 2 AMERICA“, dem brandneuen posthumen Studioalbum des unvergessenen Allrounders aus den Paisley Park Studios in Chanhassen bei Minneapolis, Minnesota. Auf dem Longplayer, der ab 2010 entstand, aber aus mysteriösen Gründen nie auf den Markt kam, ist bislang unveröffentlichtes Material zu hören, das bis dato im Archiv lagerte. Am 30. Juli wird das Werk nun von The Prince Estate und Legacy Recordings, einer Division von Sony Music Entertainment veröffentlicht. Die Deluxe-Edition enthält eine Blu-Ray mit einem kompletten, bisher ebenfalls unveröffentlichten Live-Konzertvideo von Prince und der New Power Generation, gedreht an einem Abend seiner “21 Nite Stand“-Show in Inglewood, Los Angeles.
EIN KRAFTVOLLES, KREATIVES STATEMENT!
“WELCOME 2 AMERICA“ ist ein kraftvolles, kreatives Statement, mit dem “the Purple One“ Stellung bezieht, seine Sorgen, Hoffnungen und Visionen für eine sich verändernde Gesellschaft dokumentiert und eine Ära der politischen Spaltung, Desinformation und eines erneuten Kampfes für Rassengerechtigkeit tatsächlich gedanklich vorwegnimmt. Bereits zum Zeitpunkt des Entstehens vor elf Jahren adressierte Prince Probleme, die (leider) noch heute bestehen, zum Beispiel auch das weit verbreitete Phänomen “Fake News“. Im Titelsong “Welcome 2 America“ heißt es etwa: “Hope and change. Everything takes 4ever. The truth is a new minority. Truth, Awww, Welcome 2 America…“ – “Hoffnung und Veränderung. Es dauert alles ewig. Die Wahrheit ist die neue Minderheit. Wahrheit, Awww, Willkommen in Amerika…“ Dazu ein Zitat des Künstlers: “Die Welt ist überflutet mit Missinformation. George Orwells Vision der Zukunft ist längst da. Wir müssen fest in unserem Glauben bleiben in diesen herausfordernden Zeiten.“ Er wird auch noch konkreter: “2day we’d like 2 discuss America’s plan 2 fix the educational system. The Pledge of Allegiance will now read as follows: Eye pledge allegiance 2 the earth, of the United States of the Universe…“ – “Heute wollen wir über den Plan sprechen, das Schulsystem in Amerika zu verbessern. Der amerikanische Treueschwur wird sich fortan wie folgt lesen: Ich schwöre Treue, der Erde, den Vereinigten Staaten des Universums…“ Prince thematisiert auch die Oberflächlichkeit der sozialen Medien, die von Reality-TV angeheizte Promi-Kultur, die Tücken der Musikindustrie (zeitlebens eines seiner “Lieblingsthemen“). Am Ende kommt er zu dem Schluss, Amerika sei das “Land of the Free. Home of the Slave“ (not Brave!), – “das Land der Freien. Die Heimat der Sklaven…“ (nicht der Mutigen!).
Im Frühjahr 2010 hatte Prince begonnen, Songs für sein Album “WELCOME 2 AMERICA“ aufzunehmen, das ambitionierte Projekt aber bereits vor der Veröffentlichung wieder aufgegeben – aus unerfindlichen Gründen! Doch jetzt sind die Lieder aufgetaucht: Neben dem Titeltrack sind elf weitere neue Stücke wie “Running Game (Son Of A Slave Master)“, “Born 2 Die“, “1000 Light Years From Here“, “Hot Summer“, “Check The Record“, “Same Page, Different Book“, “When She Comes“, “1010 (Rin Tin Tin)“, “Yes“ und “One Day We Will All B Free“ sowie “Stand Up And B Strong“, ein Soul-Asylum-Cover, erstmals zu hören.
Das Werk, das wohl als Nachfolger des Albums “20TEN“ vorgesehen war, enthält einige von Prince‘ einzigen Studio-Kollaborationen mit dem Bassisten Tal Wilkenfeld, Drummer Chris Coleman und dem GRAMMY-nominierten Tontechniker Jason Agel (Beyoncé, Rihanna, John Legend u.a.). Dazu gibt es Beiträge der New-Power-Generation-Sängerinnen Shelby J, Liv Warfield und Elisa Fiorillo sowie Keyboarder Morris Hayes aka “Mr. Hayes“, den Prince auch für die Co-Produktion des Albums engagierte. Kurz nach der Fertigstellung startete Prince eine Tour durch die Staaten. Die Deluxe-Edition von “WELCOME 2 AMERICA“ enthält das komplette Studioalbum auf CD und schwarzem Vinyl (zusammen mit einem hochauflösenden digitalen Download) sowie das nie zuvor veröffentlichte Prince- Konzert vom 28. April 2011 im “Forum“ in Inglewood, CA, präsentiert in 1080p HD mit Stereo-, 5.1 Surround- und Dolby Atmos-Ton. Als begleitende Sammler-Single können Fans eine nummerierte, goldfarbene 7“-Vinyl in limitierter Auflage exklusiv über den offiziellen Prince Store bestellen. Die 7“ enthält die Studio-Version von “Welcome 2 America“, begleitet von einer bisher unveröffentlichten Live-Version des Songs, ebenfalls aufgenommen im “Forum“ allerdings –abweichend zum Konzert in der Deluxe- Edition – von der Show am 14. Mai 2011. Die Live-Version von “Welcome 2 America“ wird in einem Medley mit der Prince-Komposition “Dreamer“ aufgeführt, die erstmals auf dem 2009 erschienenen Album “LOTUSFLOW3R“ veröffentlicht wurde und zeigt, wie das neue Material eine Erweiterung seines lebenslangen Engagements für soziale Gerechtigkeit war.
DIVERSITÄT WURDE BEI PRINCE STETS GROSS GESCHRIEBEN!
Prince, ganz Vollblutmusiker, lebte für die Bühne, für die Performance. So geschah es regelmäßig, dass er nach schweißtreibenden Arena-Konzerten noch lange nicht genug hatte. Legendär sind die vielen After-Show-Gigs, die er als “Zugabe“ direkt im Anschluss an die offiziellen Konzerte in teils winzigen Clubs spielte und damit nochmal ein kleines, glückliches Publikum verzückte.
Eine große Arena-Show war das ausverkaufte Prince-Konzert am 28. April 2011 im Inglewood Forum, das der Deluxe-Version des Albums als Blu-Ray beigefügt ist. Bei einer Pressekonferenz zum Start der Tour im Oktober 2010 kündigte Prince Großes an: “’WELCOME 2 AMERICA‘ is best described as ‘what we’ve all been waitung for‘. You need to come often, because everytime we play, it’s something new. No concert is ever the same. Bring friends, bring ur children, and bring foot spray, because… it’s gonna B funky.“ – (“’Welcome 2 America‘ lässt sich am besten als ‘das, worauf wir alle gewartet haben‘ beschreiben. Ihr müsst oft kommen, denn jedes Mal, wenn wir spielen, ist es etwas Neues. Kein Konzert gleicht je dem anderen. Bringt Freunde mit, bringt eure Kinder mit und bringt Fußspray mit, denn es wird funky“).
23 Songs performte Prince bei den Konzerten, neben Hits und Klassikern auch erstaunlich viele Coverversionen unterschiedlichster Künstlerinnen und Künstler. So brachte er u.a. “Brown Skin“ von India.Arie, “What Have You Done For Me Lately“ von Janet Jackson (ein Song im typischen Prince-Stil, aber komponiert von Janet, Jimmy Jam und Terry Lewis), “Make You Feel My Love“ vom großen Bob Dylan, “Misty Blue“ von Eddy Arnold, “Play That Funky Music“ von Wild Cherry, “Inglewood Swinging“ (Original: “Hollywood Swinging“) von Kool & The Gang oder “More Than This“ von Bryan Ferry und Roxy Music. Ein wahrlich eklektischer, abwechslungsreicher wie überraschender Mix, der eben genau Prince‘ Wesen entsprach. Denn Diversität wurde bei ihm in jeglicher Hinsicht stets großgeschrieben!
PRINCE BLEIBT… EIN SOLITÄR!
Prince‘ kometenhafte Karriere, die einst in Minnesota im Mittleren Westen ihren Ursprung und ihr Zentrum hatte, umfasste knapp 40 Jahre. Immer bewegte sich “the Purple One“ dabei auf Topniveau und schuf wunderbare, funkelnde Pop-Preziosen: Man tanzt gern zu kommerziellen Hits wie “Purple Rain“, “When Doves Cry“, “Kiss“, “Little Red Corvette“, “1999“, “Cream“, “Get Off“ oder “Diamonds And Pearls“, mit denen Prince über Jahrzehnte weltweit die Charts stürmte. Er war aber auch ein leidenschaftlicher (Funk)-Rocker, was kraftvoll-dynamische Stücke wie “Sign O‘ The Times“, “Why You Wanna Treat Me So Bad?”,“I Rock Therefore I Am“ (“CHAOS AND DISORDER“), “Le Grind“ (“BLACK“-Album) “Peach“, “Get Wild“, “Damned If I Do“ (von “EMANCIPATION“) oder “Guitar“ (vom Album “PLANET EARTH“) belegen.
Der Ausnahmekünstler, der zeitweise als “The Artist Formerly Known As Prince“ oder “The Symbol“ auftrat, revolutionierte die Musikwelt, scherte sich nie um Konventionen – und erfand quasi im Alleingang den “Minneapolis Sound“, einen aufregend-elektrischen Mix aus Funk, R&B, Rock und Pop, mit dem er seit den Achtzigern unzählige Musiker in aller Welt massiv beeinflusste. Die “Funk-Krone“ hatte er einst von Großmeistern wie James Brown, George Clinton und Sly Stone geerbt. Er ließ auch Einflüsse von Blues, Gospel, Soul, Folk und Jazz in seinen Sound einfließen und machte ihn somit einzigartig. Prince wurde zu einem Fixstern der amerikanischen Popmusik. Respektiert, geachtet, bewundert von Publikum wie Kolleginnen und Kollegen gleichermaßen. Chaka Khan landete mit seinem “I Feel For You“ in den Achtzigern einen Welthit, Sheila E. mit “A Love Bizarre“, die Bangles mit “Manic Monday“, Sinead O’Connor mit “Nothing Compares 2 U“ und Cyndi Lauper nahm Prince‘ “When You Were Mine“ einst für ihr viel beachtetes Debüt “SHE’S SO UNSUAL“ auf. Ungezählte Artists lieben es, Prince-Songs zu covern, weil sie einfach so gut sind: Tom Jones landete 1988 mit “The Art Of Noise“ und der Nummer “Kiss“ Ende der Achtziger einen Hit, David Gilmour von Pink Floyd und Tom Jones versuchten sich gemeinsam an der Über-Ballade “Purple Rain“, Punk-Ikone Patti Smith an “When Doves Cry“, Stevie Nicks von Fleetwood Mac ließ sich zu ihrem Solo-Track “Stand Back“ von “Little Red Corvette“ inspirieren und die Foo Fighters begeisterten die Fans mit einer abgefahrenen Rock-Version von “Darling Nikki“.
Viele verdanken dem “Musikmagier“ aus Minneapolis einiges! Mit seinem Schaffen hat er die Welt verändert, Generationen geprägt. Prince war, nein, er ist noch immer überall. Unvergessen. Er bleibt ein funkelnder Solitär des Pop. “WELCOME 2 AMERICA“, das neue Album, beweist es einmal mehr.