Was ist von einer Platte zu erwarten, deren Pressetext die guten alten Zeiten herauf beschwört und zu Vergleichen mit Alben wie „Out Of Time“, „Automatic For The People“ oder „Monster“ animiert? Ein Alternative-Rock-Smash soll es sein, der vor Kraft und Frische strotzt und womöglich an die Größe von „Document“ heranreicht. Der Albumtitel („Beschleunigung“) lässt sich insofern programmatisch lesen, als Michael Stipe, Peter Buck und Mike Mills in der Tat dynamisches Songmaterial an den Start bringen und die elf Stücke gerade mal eine Gesamtlaufzeit von 35 Minuten aufbringen. Im Berliner Promobüro des R.E.M.-Labels Warner steigt aus gegebenem Anlass ein Pre-Listening, es gibt Kaffee und Musik. Also los. Der Opener „Living Well’s The Best Revenge“ legt gleich ordentlich treibend los und löst das rockige Versprechen ein. Michael Stipe gelingt dabei ein aufbegehrender, aggressiver Tonfall, den er in die schnell vorgetragene Melodielinie legt. Lamentiert wird woanders. „Mansized Wreath“ nimmt das Tempo etwas raus, bewahrt sich aber eine gewisse Kratzbürstigkeit und gefällt mit ohrgängigem Refrain und hübschem Backgroundgesang von Michel Mills. Das bereits bekannte „Supernatural Superserious“ als Single auszuwählen ist absolut plausibel, weil es wohl der kommerziellste Song ist, grundiert mit eingängig-prägnantem Gitarrenriff, über das Stipe mit weicherem Gesang eine Melodie mit hohem Wiedererkennungswert anstimmt. Das folgende „Hollow Man“ beginnt als Pianoballade, entpuppt sich dann aber als mit E-Gitarre instrumentierte Powerpop-Nummer. „I become the hollow man I see“, singt Stipe und klingt dabei eigenwillig nasal. Eine düstere Grundstimmung liegt dem nur zweiminütigen „Houston“ zugrunde, das mit sperrigen Keyboardeinlagen das Spiel der Akustikgitarre wirkungsvoll kontrastiert. Der Titeltrack „Accelerate“ nimmt die dunkle Stimmung auf, gibt aber mit einem Post-Punk-Riff wieder Gas. Mit Geschwindigkeit durch die Nacht. Struktur, Arrangement und Stipes anklagender Gesang spiegeln die gesellschaftskritische Thematik ganz trefflich wider. Einen beschaulicheren, von der Akustischen und Percussions beleiteten Song präsentieren R.E.M. uns mit „Until The Day Is Done“. Absolut klassische Nummer, die an „Automatic For The People“-Zeiten anknüft. „Mr. Richards“ wendet sich textlich an politische Entscheidungsträger; musikalisch äußert sich das in einem rockigen, flächigen Arrangement, als dessen Gegenpart die eigenwillige und etwas liebliche Melodielinie fungiert. Danach bestimmen wieder dunkle Farben das Szenario. „Sing For The Submarine“ bahnt sich mit dumpfem Schlagzeug und markantem Bass seinen Weg, ächzende E-Gitarrenmuster verleihen dem Stück leicht klaustrophobische Züge. Mit „Horse To Water“ hält die Bissigkeit und Dynamik wieder Einzug, wobei sich das stakkatoartige Gitarrenspiel und Stipes Gesang, der in einen gefälligen Refrain mündet, wunderbar ergänzen. Der Schlusstrack „I’m Gonna DJ“ hat es in sich. Ein Dancefloor-Rocker, in dem Stipe in den Strophen zu Bass und Drums mit dem schnell vorgetragenen Text alles aus sich rausholt und einen schmunzeln lässt. Derbe und bereichert mit weiteren Gesangsstimmen blicken R.E.M. dem Ende der Welt wieder einmal sympathisch exzessiv entgegen. Von Larmoyanz oder Popseligkeit sind R.E.M. mit „Accelerate“ ein ganzes Stück entfernt. Der erste Hördurchgang offenbart kurze und kernige Songs, deren Melodien sich nicht sofort ins Hirn meißeln und die in charmant unbändige Arrangements gepackt sind. Hat Spaß gemacht und spricht vorerst für eine längere Halbwertszeit als sie dem 2004er-Album „Around The Sun“ beschieden war.
Feb
22
2008