Apr
12
2003

Tiefe Einblicke in all ihre Songs

Tiefe Einblicke in all ihre Songs

„Würden sie ihre Tochter einen Rolling Stone heiraten lassen?“, fragte der erste Stones-Manager Andrew Loog Oldham vor gut 40 Jahren. Unter seiner Ägide und mit Hilfe seines sicheren Gespürs für den Skandal entwickelten sich Jagger und Co. in den 60er Jahren zum Establishment- und Elternschreck. Die schreienden Teenies von einst sind heute weitgehend selbst ins Elternlager übergewechselt, während deren Kinder den Pop-Provokateuren der Neuzeit wie Eminem oder Marilyn Manson zujubeln. Pünktlich zur diesjährigen „Licks“-Tournee der Rock-Rentner erscheint nun mit „Rip This Joint“ eine empfehlenswerte Biografie des Journalisten Steve Appleford, der sämtliche Anekdoten, Zitate und Karriere-Highlights der Stones chronologisch anhand ihrer Songtexte erzählt. So kam das Urknall-Riff von „Satisfaction“ dem Gitarrero Keith Richards samt den Refrainzeilen eines Nachts im Traum und der Text von „Heart Of Stone“ weist schon früh auf Mick Jaggers Talent der frauenverachtenden Textlyrik hin, die er später noch perfektionieren sollte („Under My Thumb“). Zu Wort kommen auch alte Zeitgenossen wie MC5-Gitarrist Wayne Kramer, der Mick Jagger anhand der Polit-Protestsongs „Street Fighting Man“ und „Gimme Shelter“ als klugen Beobachter von Zeitströmungen preist, ihm aber aktiven Kampfcharakter abspricht. Zu Recht, Jagger selbst sah sich ohnehin nie als Sprachrohr einer Generation. Natürlich beleuchtet Appleford, der u.a. für die Los Angeles Times und den Rolling Stone Feuilleton-Beiträge verfasst, auch das desaströse Altamont-Konzert von 1969 und die Arbeitsweise während der heftigen Drogenjahre in den 70ern. Dass die berühmte Ballade „Angie“ David Bowies damaliger Frau Angela gewidmet sein soll, bestreitet der Autor. Er begründet dies mit der „sehr persönlichen Erfahrung“ Jaggers, die aus den Songzeilen spricht. Von Toningenieur George Chkiantz, der u.a. die Aufnahmen von „Beggars Banquet“ überwachte, erfahren wir, dass Richards durchaus ein Vetorecht gegen Jaggers Texte inne hatte. Doch auch die Verdienste der weiteren Mitglieder wie Brian Jones, der die Band gründete und 1970 tot in seinem Swimming Pool aufgefunden wurde, sowie Bill Wyman, Charlie Watts, Ian Stewart, Mick Taylor und später Ron Wood werden gewürdigt. So galt eine Rolling Stones-Aufnahme lange Zeit erst dann als Mastertake, wenn Drummer Watts sich von seinem Hocker erhob. Ron Wood, Nachfolge-Gitarrist des 1974 ausgestiegenen Taylor, darf sich wiederum ans Revers heften, die Stones in den 80er Jahren zusammen gehalten zu haben, als Jagger seinen Busenfreund Richards mit dem Interesse an aktuellen Soundmoden und seiner Solokarriere an den Rand des Wahnsinns trieb. „Rip This Joint“ ist sowohl hochinteressante Lektüre als auch wichtiges Nachschlagewerk und gehört nicht nur in die Bücherregale eingefleischter Stones-Fans. Wenn auch dort wenigstens alle Plattencover im Schrank stehen, auf deren Abbildungen leider verzichtet wurde.