Mar
23
2010

Dave Gahans wildes Leben mit Depeche Mode

Dave Gahans wildes Leben mit Depeche Mode

30 Jahre im Musikgeschäft und noch immer ein Garant für volle Konzerte und ordentliche Plattenverkäufe: Depeche Mode sind nicht totzukriegen. Ihr Sänger Dave Gahan bekanntlich auch nicht. Fraglos ist seine filmreife Lebensgeschichte die spannendste innerhalb des Bandgefüges, weshalb es legitim erscheint, mit „Dave Gahan – Sein Leben mit Depeche Mode“ (Hannibal, Hardcover, 240 Seiten, ?19,95) nun „das erste Buch“ über den Mann zu veröffentlichen. Für den britischen Musikjournalisten Trevor Baker, der in der Vergangenheit schon die Karrierewege von Kylie Minogue und Thom Yorke nachzeichnete, ist Gahans Biografie sogar „noch beeindruckender“ als die seiner Band. Da stellt sich einem die Frage, wieso er dann doch nur eine weitere Depeche Mode-Story zu Papier brachte. Vom schwulen Lederlook zu steifen Anzügen Wie zahlreiche Journalisten vor ihm wertete Baker alte Interviews aus und traf einige Wegbegleiter persönlich. Zwar gelingt es ihm, den Menschen hinter der Bühnenperson Dave Gahan sichtbar zu machen. Allerdings nicht auf der Basis von Erkenntnissen, die man nicht schon aus anderen Büchern über die Band kennen würde. Vor allem über die Zeit des verschworenen Kollektivverbunds Depeche Mode (1982-1990) scheint spätestens seit der top recherchierten Steve Malins-Biographie von 2001 alles gesagt. In einfacher Sprache führt Baker dem Leser vor Augen, wie aus einem Schaufensterdekorateur ein an optischen Wandlungen nicht armes Teenie-Idol wurde: Vom schwulen Lederlook zu steifen Anzügen zurück zum schwulen Lederlook, von der trendsettenden Popper-Frisur zur Grunge-Matte, vom braven Familienvater zum selbstzerstörerischen Junkie und zurück zum braven Familienvater: Gahans Biografie ist bester Rock’n’Roll-Stoff. Lebenslange Unsicherheit In den Kapiteln zum Karrierebeginn leuchtet Baker Gahans Persönlichkeit schön aus, auch weil der Gary Numan- und The Clash-Fan da als Szene-Kenner eine maßgebliche Rolle für die Band spielte. Man erfährt viel über die unterschiedlichen Charaktere und ihr Leben in der trostlosen Arbeiterstadt Basildon, die der britischen Presse jahrelang als hämische Metapher für den scheinbar linkischen Pop des Quartetts diente. Die Verheimlichung des leiblichen Vaters löste bei Gahan früh lebenslange Unsicherheits- und Misstrauensgefühle aus. Dass er jahrelang nur als Stimme für die Songs des Kollegen Martin Gore in Erscheinung trat, vertrug sich mit seiner Sucht nach bandinterner Anerkennung ebenfalls schlecht. Happy End ? la Hollywood Wie in einem guten Roman leidet man mit dem einst so sympathischen Protagonisten, dessen Psyche sich aufgrund innerer Unzufriedenheit, Tour-Langeweile und kultischer Massen-Verehrung immer mehr destabilisiert und schließlich in der Drogenhölle endet. Das anschließende Happy End könnte kitschiger von Hollywood nicht erfunden sein: Nach zweiminütigem Herzstillstand findet Gahan ins Leben zurück, sagt dem Heroin ab und startet nach erfolgreicher Reha einen Neustart mit Band und Familie. ‚Fangen‘ spielen vor Konzerten Dass Baker kein expliziter Kenner der Materie ist, kommt der Lektüre bisweilen zugute. So gelingen ihm gerade aufgrund der Distanz prägnante Analysen. Die kindliche Naivität der Band-Anfangstage fasst er mit dem schönen Satz zusammen, dass Depeche Mode eine Band waren, „die bis 1982 vor Konzerten noch ‚Fangen‘ spielte.“ Es bereitet ihm auch wenig Mühe, die damals vorherrschende Meinung zu skizzieren, es bei Depeche Mode mit einem Abfallprodukt der aufkeimenden Elektro-Bewegung zu tun zu haben. Dass er mit Terry Murphy den Besitzer des Londoner Clubs Bridge House zu Wort kommen lässt, in dem die Gruppe 1980 entdeckt wurde, nährt wiederum eher den Wissensdurst der Devotees. Ebenso die interessanten Erinnerungen des Veranstalters Rusty Egan, der Depeche Modes Rolle in der damaligen New Romantics/Blitz Kids-Bewegung verständlich ausformuliert. Für ein Gahan-Portrait wären dagegen eher O-Töne von Geschwistern oder langjährigen Begleitern dienlich gewesen. Sieg über den stillen Songwriting-Diktator Ab Gahans Solokarriere 2003 fällt es Baker wieder leichter, dessen Person in den Vordergrund zu stellen, da dieser sich nun mehr und mehr von seiner Band emanzipierte. Die Songwriting-Kampfansage an Gore trug der Sänger auf der anschließenden Solotour bekannterweise über die Presse aus, wie man seinerzeit auch in diesem Magazin nachlesen konnte („Ich bin nicht Martins Marionette“). Letztlich war er jedoch erfolgreich und darf nun auch eigene Songs für die Band schreiben. Technische Unsauberkeiten sorgen letztlich für einen etwas schalen Beigeschmack. Falsche Songtitel („Barrel From The Gun“, „Sister Of The Night“), falsche Datierung in Rückblenden, ungenaue Bildunterschriften oder gar inhaltliche Fehler („Shake The Disease“ sei ein Song, mit dem die gesamte Band unzufrieden war) sollten in einer derartigen Veröffentlichung eigentlich nicht vorkommen.