„I’m not an artist, I just work the hardest.“ Jason C. Beck alias Chilly Gonzales macht in der grandiosen Single „Never Stop“ aktuell mal wieder ganz auf understated. Mit riesigem Augenzwinkern, versteht sich. Tatsächlich weiß der Kanadier in Paris ziemlich genau, dass bei ihm Kunst und Arbeit super zusammengehen. Nicht umsonst hat er etwa erst 2009 den Weltrekord in der Kategorie „Längstes Solokonzert“ gesetzt. Viel Ausdauer bewies Gonzales ebenfalls, als er sich nach dem Album „Soft Power“ (2008) nicht etwa eine Auszeit gönnte, sondern sich lieber mit Kunsthochschulenprollrocker Andrew WK und dann mit infamous Helge Schneider am Klavier duellierte. Demnächst erscheint nun also der jüngste Langspieler „Ivory Tower“, überraschenderweise produziert von Boys Noize. Weil Gonzales aber eben bekennender Workaholic ist, gibt’s dazu auch gleich noch einen abendfüllenden Spielfilm mit ihm sowie Tiga und Peaches in den Hauptrollen. Worum geht’s? Ums Duellieren natürlich. Austragungsort ist diesmal das bedeutendste Brettspiel der Welt – Schach. Der inoffizielle Trailer mit Szenen zwischen Toilette und sowjetischem Ehrenmal in Berlin spricht wohl für sich. Jazz-Schach statt Wettbewerb Der Inhalt in Worten: „Hershell (gespielt von Gonzales himself) und Thadeus (Tiga), sind Brüder und Rivalen, wenn es um das Schachspiel und die Frauen geht. Hershell ist der verlorene Sohn und als Spieler ein Purist ? Thadeus ein ebenso disziplinierter wie skrupelloser Gegner. Hershell verbrachte vier Wanderjahre in Europa auf der Suche nach dem idealistischen „Jazz-Schach“: Schach um des Schachs willen, wo es einzig um die Züge geht, es keinen Gewinner und keinen Verlierer gibt. Als er nach Hause zurückkehrt, ist Thadeus kanadischer Schach-Champion, finanziell erfolgreich und gibt sich arrogant. Zudem ist er mit Marsha verlobt, Hershells Exfreundin (Peaches). Frustriert über die fehlenden Perspektiven (Jazz-Schach zieht weder den Erfolg noch die Investoren an, die Hershell sich erhofft hatte) und weil er Marsha zurückgewinnen will, fordert Hershell seinen Bruder für die kommende Meisterschaft heraus ? und wirft den Fehdehandschuh.“ Kann eigentlich nur großartig werden, ebenso wie die Vorführungen mit Chilly Gonzales höchstselbst am Piano. Sneak Previews von „IVORY TOWER – The Film“ folgen nämlich in Kürze in folgenden Städten: 26.08.2010 Hamburg, Fliegende Bauten 25.09.2010 Hamburg, Reeperbahn Festival 26.09.2010 Frankfurt, Künstlerhaus Mousonturm 28.09.2010 Berlin, Babylon Cinema Theater The Sound Strike … Unterdessen ist in den USA nach der Verabschiedung des bislang strengsten Gesetzes gegen illegale Einwanderung die Diskussion um das Selbstverständnis des Landes einmal mehr voll entbrannt. Der „Support Our Law Enforcement and Safe Neighborhoods Act“ im an Mexiko grenzenden Arizona verpflichtet die dortigen Polizeikräfte, sich in jedem Verdachtsfall von illegaler Einwanderung von der verdächtigen Person umgehend Ausweispapiere zeigen zu lassen. De facto bedeutet das ständige Kontrollen für jeden, der allein aufgrund seiner Hautfarbe verdächtig erscheint. Während sich Republikaner und Demokraten also streiten, ob der Titel „Einwanderungsland“ denn auch für inoffiziell in den Staaten lebende Personen gilt, hat eine erlesene Riege Künstler gehandelt: Unter dem Banner „The Sound Strike“ rufen Massive Attack, Rage Against The Machine, Kanye West und Sonic Youth gemeinsam zum Arizona-Boykott auf. Im Südstaat soll nicht mehr performt werden, bis das äußerst umstrittene Gesetz rückgängig gemacht wird. … und ein Concert for Equality Bright Eyes-Kopf Conor Oberst, seit langem politisch engagiert, sorgt sich derweil wegen eines ähnlich gearteten Gesetzes in der Kleinstadt Fremont, Nebraska. Oberst verkündete zunächst in einem offenen Brief, er sei geschockt über die politische Entwicklung in seinem Heimatbundesstaat. „Diese Leute interessieren sich ausschließlich für Geld und Macht. Und für den Erhalt eines Anglo-zentristischen Polizeistaates, in dem jeder Immigrant und jeder nicht-weiße Bürger als Untermensch gesehen wird.“ Am vergangenen Wochenende ging Oberst daher in Omaha für das „Concert for Equality“ auf die Bühne. Zusammen mit weiteren (aktuellen und ehemaligen) Saddle Creek-Aushängeschildern wie Tim Kashers Cursive gab er mit den Bright Eyes den brandneuen Kampagnentrack „Coyote Song“ zum Besten ? eine grenzüberschreitende Pianoballade zum Streitthema („You’re down below the border with a nightmare in between / So I’m sending a Coyote to bring you back to me“). Die Konzerteinnahmen kommen der Nichtregierungsorganisation ACLU zugute, die an vorderster Front gegen das Gesetz in Nebraska kämpft. Musikalisch allerdings bemerkenswerter dürfte die Reunion der Desaparecidos anlässlich des Equality-Gigs sein. Conor Obersts altes Noiserock-Projekt hatte sich Anfang der 00er nach dem Konzeptalbum „Read Music/Speak Spanish“ und noch vor dem Bright Eyes-Durchbruch aufgelöst. Neue Desaparecidos-Songs gibt es bislang zwar nicht, und auch von weiteren Live-Auftritten ist zur Stunde nicht die Rede, wieder Hunger auf Mehr machen die Performances aber auf jeden Fall. Thematisch vermutlich eh zeitlos. Hole In One Greater Omaha The drugs do work?! Zu guter Letzt ein weiteres Video, diesmal von den instrumentalen Synthie-Gitarreros Ratatat. Evan Mast und Mike Stroud lieferten auf „LP4“ zuletzt eher bewährte Kost, verstehen es aber auf jeden Fall, verlässliche Rezepte visuell raffiniert zu verpacken. Der Clip zu „Drugs“ wirkt jedenfalls reichlich enigmatisch. Frage: Was ist hier zu sehen? a) Nicht-User stellen die Folgen von Drogenkonsum nach ? da darf Santa Claus nicht fehlen b) Jemand hat unbedarften Laiendarstellern was in die Bowle gemischt c) Ein semisubtiles Tribut an „Black Hole Sun“ d) Viel, je nachdem was man gerade intus hat. Plausible Antworten bitte per Mail an [email protected]. Berlin-Korrespondent Matthias Manthe berichtet in seiner wöchentlichen Kolumne über Themen, die wir gegen seinen ausdrücklichen Wunsch „indie“ nennen. Feedback und Anregungen gerne direkt an [email protected].
Aug
6
2010