Oct
4
2004

Business statt Nostalgie

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Berliner Radiohörer und Zeitungsleser müssen geglaubt haben, ein neues Entertainment-Zeitalter breche über sie herein. Dass sich die erste Hauptstadt-Popkomm im Vergleich zur Vorberichterstattung dann bodenständiger präsentierte, war abzusehen. So verzichteten viele deutsche Major- und Indielabels im Zeichen der Krise auch am neuen Standort auf eine Präsenz und verlegten sich lieber auf’s Zusammentelefonieren vor Ort. Einzig Sony scheute den Aufwand nicht, Bands wie Good Charlotte, Laith Al-Deen und Thom auftreten zu lassen und bat Duran Duran als einige der wenigen internationalen Stars auf die Messe. Die Pop-Ikonen blieben gleich mehrere Tage und sprachen im feudalen Hotel Adlon mit der Presse oder gaben Autogramme im Saturn. Universal gab sich von Mittwoch bis Freitag in den zwei Hallen des Messegeländes lieber exklusiv, Fourmusic funktional, Warner bescheiden, während EMI und BMG gleich ganz weg blieben. Eher bescheiden auch der Star-Auftrieb: man sah mehr Semi-Prominente als richtige Größen. Die Fantastischen Vier und Slut schauten bei Radio Fritz vorbei, MC René beim Start des Contests für Musikempfehlungssysteme Reco.Engine.04, und auch ein Berliner Urgestein wie Ex-Ärzte-Basser Hagen besuchte die Messe. Superminister Wolfgang Clement hatte zu Beginn die Begrüßungsrede gehalten, dabei wie jedes Jahr die Wehleidigkeit und Verzagtheit der Plattenfirmen kritisiert, und war anschließend – wie später Angela Merkel – mit Tross über die Messe gezogen. Nachts lockten dann knapp 400 prominente bis unbekannte DJs, Acts und Bands von Ice-T bis M.A.S.S. oder Tahiti 80, die aus dem diesjährigen Popkomm-Partnerland Frankreich angereist waren. Motor lud in den Palast der Republik, wo Rammstein akustisch, Element Of Crime und Virginia Jetzt! aufspielten. MTV schickte Placebo und Mousse T. ins Rennen. Ansonsten erlebte Berlin ein für seine Verhältnisse fast normales Abendprogramm. Die Messe-Veranstalter konnten am Ende positiv Bilanz ziehen, waren die Besucher- und Ausstellerzahlen im Vergleich zum Vorjahr doch gestiegen. Über 15.000 Fachbesucher und 663 Aussteller, davon über 70 Prozent aus dem Ausland, waren laut Geschäftsführer Ralf Kleinhenz nach Berlin gekommen. Und selbst für Messe-Nostalgiker war vorgesorgt: möglichen Frust über den Wegzug aus der rheinischen Metropole spülte man einfach an einem Kölsch-Stand hinunter.